Rechtsvertretung nach Maß
Ein Lebensmittelproduzent erfährt aus den Medien, dass eine Charge seine Produktes durch Glassplitter verunreinigt war und Konsumenten schon eine Sammelklage vorbereiten. Ein Mitarbeiter hat versucht, einen Beamten zu schmieren. Ein Schlüsselkunde ist insolvent. Oder das eigene Unternehmen ist nahe dran, es zu werden. Wenn es im Business haarig wird, ist guter Rat teuer. Die meisten Unternehmen, selbst sehr kleine, haben einen Hausanwalt, oft seit dem ersten Tag ihres Bestehens. Doch der stößt bei Spezialfällen schnell an seine Grenzen. Wie sich wappnen?
„Eine Aufgabe für das Risikomanagement“, sagt Clemens Grossmayer, CMS-Partner und Rechtsanwalt für Gesellschaftsrecht. „Das Risikoprofil des Unternehmens durchgehen, was alles passieren kann, und sich Reaktionen überlegen, bevor der Fall des Falles eintritt.“ Doch einen Risikomanager muss man sich erst einmal leisten können. Und der Geschäftsführer steckt zu tief im Kerngeschäft. Also vorausschauend eine Großkanzlei engagieren, die für alle Eventualitäten Spezialisten an Bord hat? Damit schläft es sich tatsächlich besser. Allerdings: Je größer und je internationaler die Kanzlei, desto höher ihre Overheadkosten. Die weltbekannte Marke, die fancy Locations und die drei Models an der Rezeption müssen bezahlt werden.
"Unternehmen sollten sich Reaktionen überlegen, bevor der Fall des Falles eintritt", Clemens Grossmayer, CMS
Manche Unternehmen finden ihren Königsweg in einer überschaubar großen Anwaltsboutique mit zehn bis 20 Rechtsanwälten, die unterschiedliche Fachgebiete abdecken. Hier sind die Overheads erträglich, was sich in erfreulichen Stundensätzen unter 200 Euro niederschlägt. Einen klingenden Markennamen darf man sich aber nicht erwarten.
DIE JAGD NACH DEM SPEZIALISTEN
Eine andere Option ist, sich für jede Eventualität einen Spezialisten zu suchen. Die Idee könnte von einem Einkaufschef stammen: viele Rahmenvereinbarungen, dafür muss man sich im Ernstfall nicht mit Honorarverhandlungen aufhalten. Praktikabel ist das nur dann, wenn eine gewisse Gefahrenneigung oder ein voraussichtlicher Beratungsbedarf absehbar ist, meint Gesellschaftsund Unternehmensrechtanwalt Christian Vitali. Er selbst lebt in der Kanzlei Tanos Vitali Zupancic eine Kooperation dreier selbstständiger Rechtsanwälte, die einander ergänzen. Von einer umfassenden Vorabvereinbarung hält er wenig: „Das ufert aus. Würde man sich viele Spezialisten in petto halten, nach dem Motto, ,Wenn mal was ist, darf ich Sie dann anrufen?‘ – da sagt ohnehin kein Anwalt Nein.“ Auch weil sich schon ein Grund findet, im Ernstfall mit Verweis auf die Komplexität des Falles die Stundensätze hinaufzuargumentieren. Die Kanzlei des langjährigen Vertrauens ist hier kulanter.
CMS-Partner Grossmayer zieht die Analogie zum praktischen Arzt: „Soweit er kann, wird er weiterhelfen. Und sonst etwa an den Internisten, den Augenarzt oder den Neurologen verweisen.“ Eine Idee, der auch Vitali zustimmt: „Ein Allgemeinjurist kennt sicher jemanden, der speziell weiterhilft. Das ist Vertrauenssache.“ Ob diese Variante dann auch kostengünstiger ist, darauf will Vitali sich nicht festlegen. „Es gibt Einzelkämpfer mit Stundensätzen, da legt man die Ohren an.“ Jedenfalls sollte man sich solche Honorarnoten genau anschauen. Finden sich darauf auffallend hohe Recherchekosten, ist Nachfragen angesagt: Ein Experte für ein bestimmtes Rechtsgebiet sollte seine Expertise auch ohne langes Nachschlagen abrufen können. Eine andere gern genutzte Möglichkeit, wenn der Hausanwalt ein Fachgebiet nicht abdeckt: Er übernimmt die Causa dennoch zu seinen üblichen Konditionen und substituiert das fremde Fachgebiet an einen Kollegen. Den bezahlt er selbst. Wer sich seine Professionals lieber selbst sucht, wird in der Datenbank der Rechtsanwaltskammer sicher fündig. Ein Angebot ist schnell eingeholt. Oder eine kostenlose Erstberatung in Anspruch genommen. Die Wiener Rechtsanwaltskammer bietet das etwa gegen Voranmeldung. Allerdings: Große Probleme löst man in solchen maximal 15 Minuten sicher nicht.
GO DIGITAL!
Es gibt auch vielversprechende Legal-Tech- Unternehmen. Nicht nur für die Anwaltssuche. Das Vorlagenportal (www.vorlagenportal.at) erspart im Arbeitsrecht so manchen vom Anwalt aufgesetzten Vertrag. Wer ein anderes Fachgebiet benötigt oder es doch lieber persönlich mag, gibt auf der Anwaltsplattform Advocado seine Frage ein und wird innerhalb von zwei Stunden von einem passenden der 550 Anwälte der Plattform kontaktiert. Die Stärke von Advocado ist ihr gutes Matching. Doch was wäre, wenn eine KI schon konkrete Rechtsauskünfte vorbereitet und ein passender Anwalt sie nur finalisiert? Das müsste kostengünstig für den einen und ressourcenschonend für den anderen sein, dachte sich incaseof.law-Gründer Max Kindler. Kindler verdiente sich seine ersten Sporen als Konzernanwalt bei AT&S und den ÖBB und leitete zuletzt die Rechtsabteilung von Rail Cargo. Vor Unternehmensjuristen hat er höchsten Respekt. „Ihre Rolle ist wie die des Consigliere in ,Der Pate‘: Als Ratgeber bei jedem Gespräch dabei und Marlon Brando hört auf ihn.“ Übertragen auf KMU: Jede Handlung eines Geschäftsführers hat juristische Implikationen, die sein General Counsel – diese Bezeichnung gefällt Kindler besser als Hausjurist – im Auge behält. Hand aufs Herz, wie viele Geschäftsführer haben das Gesellschaftsrecht gelesen? Kindler bringt ein Beispiel, wie tückisch es ist: „Die meisten GmbH-Geschäftsführer denken, ihre Haftung ist auf 35.000 Euro begrenzt. Das stimmt nur, solange sie alles richtig machen.“ Hält aber etwa ein Lieferant die Lieferfrist nicht ein und macht der Geschäftsführer die dafür vertraglich vorgesehene Strafe nicht geltend, hat er schon ein strafrechtliches Delikt begangen: „Untreue. Er hat das Vermögen der Gesellschaft geschädigt.“ Ein Hausjurist wüsste das. Doch wie viele KMU können sich schon sein Jahressalär leisten? Kindler nahm sich deswegen die gängigsten Anwendungsfälle einer GmbH vor und standardisierte sie mit KI-Unterstützung. Ganz obenauf zwei Tools für automatisierte Mahnklagen (aus Gläubigersicht) und deren Abwendung (Forderungsabwehr aus Schuldnersicht). Wer nicht über das Justizportal gehen will, findet bei Kindlers incaseof.law eine elegante und kostengünstige Alternative. Für Forderungen unter 5.000 Euro braucht es keine anwaltliche Vertretung. Das System erstellt anhand der Fakten eine Mahnklage. Den Gläubiger kostet das nichts, nur der Schuldner muss je nach Forderungshöhe zehn bis 20 Prozent Pauschale zahlen. Übersteigt die Forderung 5.000 Euro, schaltet sich ein Anwalt aus dem Netzwerk dazu. Vier Wochen nach der Zustellung entsteht automatisch ein Exekutionstitel. Findet der Schuldner die Forderung ungerechtfertigt, kann er sie auf symmetrischem Weg abwehren und automatisiert Einspruch erheben. Dann wird ein ordentlicher Zivilprozess eingeleitet. Für Juni plant Kindler neue Features. Ein Vertragstool soll Vertragsentwürfe zuerst von einer KI, dann von einem menschlichen Juristen gegenchecken. Ein Ausschreibungstool wird auch kleineren KMU ermöglichen, an großen Ausschreibungen teilzunehmen. Ein Finanzunterlagentool macht dem Kreditschutzverband Konkurrenz, prüft die eigene Zahlungsfähigkeit und schlägt Sanierungsverfahren mit und ohne Eigenverwaltung oder Konkurs vor. Und wenn bisher nichts passt: Für alle übrigen Beratungsanlässe matcht auch dieser Algorithmus mit passenden Anwälten.
Autor/in: TEXT MARA LEICHT