Interview mit Fairtrade
Hart, aber fair - und erfolgreich!
Fairtrade Produkte konnten in Österreich im Jahr 2023 ein geschätztes Umsatzplus von knapp 12 Prozent erzielen. Fair gehandelter Kakao verzeichnete in Österreich ein Absatzplus von 13,4 Prozent, Kaffee immerhin ein leichtes Plus von 0,2 Prozent, Bananen konnten ihren Marktanteil auf mittlerweile 32 Prozent steigern und Rosen erzielten ein Plus von 7,9 Prozent. Trotzdem gibt es noch viel Luft nach oben, wie Hartwig Kirner im Gespräch mit „Die Wirtschaft“ verdeutlicht.
Die Wirtschaft: Was sind für Sie wichtigsten Punkte der Jahresbilanz von Fairtrade Österreich?
Hartwig Kirner: Bemerkenswert ist, dass sich der faire Handel in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld sehr resilient gezeigt hat. Wir haben insgesamt zwölf Prozent Umsatzwachstum mit Fairtrade zertifizierten Produkten erzielt. Das hätte auch anders aussehen können, weil die Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund der Inflation sehr preissensitiv geworden sind. Die Menschen kaufen bei Lebensmitteln verstärkt Einstiegspreisprodukte. Aber glücklicherweise sind Fairtrade-Produkte nach wie vor hoch im Kurs.
Wie verteilt sich das Wachstum auf Neu- und Bestandskunden?
Nachdem wir schon eine sehr hohe Marktdurchdringung haben, waren es mit Sicherheit die bestehenden Kunden, die mehr gekauft haben. Das Wachstum ist ganz stark aus dem Schokoladenbereich gekommen. Bestehende Partner haben ihr Sortiment erweitert. Zum Beispiel hat Manner die Rumkugeln umgestellt. Einige Handelskonzerne haben beim Eigenmarkensortiment Umstellungen vorgenommen. Was sich im letzten Jahr auch ausgezeichnet entwickelt hat, waren die Rosen mit fast acht Prozent Wachstum. Kaffee und Bananen sind weitgehend stabil geblieben, was mich angesichts der Überschreitung von sehr harten Preisschwellen überrascht hat.
Wie schwierig ist es, große Abnehmer an Bord zu bekommen?
Manner ist eine der ganz großen Schokoladenfirmen in Österreich. Sie hat mittlerweile große Teile des Produktportfolios zertifiziert. International, bei globalen Unternehmen, haben wir noch Potenzial. Es gibt noch nicht sehr viele, die mitmachen. Andere sind schon weiter. Rewe ist gerade dabei, das komplette Eigenmarktsortiment auf Fairtrade-Zertifizierung umzustellen. Auch bei Aldi und Lidl tut sich derzeit einiges. Im Schokoladenbereich sieht es super aus. Bei Kaffee sind wir in Österreich ebenfalls schon sehr gut unterwegs.
Wollen Sie das Fairtrade Sortiment künftig erweitern?
Wir konzentrieren uns darauf, in den bestehenden Produktgruppen, den Impact für die Bauern noch weiter zu erhöhen. Da ist noch viel Luft nach oben. Ich freue mich über zehn Prozent Marktanteil bei Schokoladen in Österreich, aber 90 Prozent sind noch immer nicht Fairtrade zertifiziert.
Was waren die größten wirtschaftlichen Herausforderungen?
Was sich im letzten Jahr massiv nach oben entwickelt hat, waren die Kaffeepreise. Und was derzeit wirklich brutal ist, ist der Kakaopreis. So etwas habe ich überhaupt noch nie gesehen. Eine Verfünffachung innerhalb eines Jahres. Der Kakaopreis ist heute bei über 6.000 Dollar, zwischenzeitlich lag er sogar über 11.000 Dollar. Vor zwei Jahren war er bei 2.000 Dollar. Für die Schokoladenfirmen ist das wirklich heftig, da stehen manche mit dem Rücken zur Wand.
Werden die entsprechenden Produkte stark im Preis steigen?
Ohne Preiserhöhung wird es in den nächsten Monaten nicht gehen. Je nach Anteil, weil die Produkte ja nicht zu 100 aus Kakao bestehen. Aber mit wenigen Cent Preissteigerung wird sich das nicht mehr ausgehen, pro Tafel Schokolade.
Wer profitiert denn von den hohen Rohstoffpreisen bei Kakao?
Das kriegten bisher nicht die Bauern. Die bekommen etwa in der Elfenbeinküste den Preis, der im Februar festgesetzt wurde. Da ist er zwar deutlich gestiegen gegenüber Vorjahr, aber noch immer weit von dem entfernt, was wir aktuell sehen. Das Geld bleibt derzeit in der nachgelagerten Lieferkette, also vor allem bei Rohstoffhändlern hängen.
Was sind die Ursachen für diese horrenden Preissteigerungen bei Kakao?
Weil die Bauern so lange Zeit nichts verdient haben, wurden die Kakaobäume nicht erneuert. Die Erträge sinken, vor allem in Westafrika, wo 70 Prozent der Welternte herkommen. In Ghana gibt es viele Bauern, die das Land Aufgrund des hohen Goldpreises an Goldschürfer verkaufen. Und es gab aufgrund der massiven Preissteigerungen sehr viel Schmuggel aus der Elfenbeinküste heraus in andere Länder, weil man dort weit mehr bekommt als den staatlich festgesetzten Preis. Die Lieferketten sind derzeit leider in keinem guten Zustand.
Im Kern geht es Fairtrade um die kleinbäuerlichen Hersteller und um deren Lebensbedingungen. Die haben wirklich gar nichts von diesen Preissteigerungen?
Man kann hoffen, dass mit der Oktoberernte auch die Bauern was davon haben. Derzeit ist es noch so, dass selbst wenn sich der Preis verdoppelt, aber die Ernte deutlich geringer ausfällt, die Bauern nicht mehr bekommen. Wir werden im Juli wissen, wie die nächste Ernte ausfallen wird. Anhand der Blüten auf den Bäumen weiß man das ungefähr. So hohe Preise führen dazu, dass manche Länder stark in den Ausbau von Kakao investieren. In ein paar Jahren kippt dann der Preis wahrscheinlich wieder weg, wenn die Mengen plötzlich steigen. Ein Kakaobaum braucht circa fünf Jahre, bis er vernünftige Erträge liefert. Der Markt ist sehr turbulent und der wird sich die nächsten Jahre auch nicht beruhigen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Bauern ein vernünftiges, berechenbares Einkommen haben.
Aus fairem Handel kommt nicht nur Kakao, sondern auch Kaffee, Bananen, Rosen und andere Produkte aus dem globalen Süden. Inwieweit spielt die Klimakrise dabei eine Rolle?
Die Regenmuster haben sich verschoben oder sind gerade dabei, das zu tun. Die letzten Jahre gab es eine Kaffeekrankheit, die neu dazugekommen ist, der Kaffeerost. Das war die erste klimabedingte Krankheit, die die Pflanzen heimgesucht hat. Jetzt ist es gelungen, mit resistenteren Pflanzen diesen Kaffeerost zurückzudrängen. Aber das war mit Sicherheit nicht die letzte Krankheit, die aufgrund dieser unterschiedlichen unberechenbaren Regenmuster kommen. Wir haben Studien, die bis zur Mitte des Jahrhunderts prognostizieren, dass bis zu 50 Prozent der Anbauflächen für Arabica-Kaffee verschwinden werden. Der Arabica-Kaffee wächst nur in höheren Lagen. Derzeit wandert man mit dem Anbau in höhere Lagen, aber das ist irgendwann zu Ende.
Wie kann man da gegensteuern?
Man kann das mit Anpassungsmaßnahmen wie resilienteren Pflanzen ein wenig ausgleichen. Aber das Ganze hat natürlich seine Grenzen. Man kann es auch ein wenig mit Robusta Kaffee kompensieren, der schmeckt aber anders und hat andere Eigenschaften. Die Kaffeeversorgung, die macht uns schon Sorgen. Hier sehen wir ein strukturelles Problem aufgrund des Klimawandels. Wir versuchen, die Bauern derzeit dabei zu unterstützen, sich anzupassen, Fairtrade wird den Klimawandel aber nicht aufhalten können.
Kommt neben dem sozialen Aspekt mit der Bewältigung des Klimawandels auf Fairtrade eine neue Aufgabe zu?
Das hängt zusammen. Die Bauern müssen durch vernünftige Einkommenssituationen in die Lage versetzt werden, ihren Hof und ihr Leben anzupassen. Aber Sie haben recht. Auch die Bauernorganisationen drängen immer stärker darauf, dass wir Klimaanpassungsmaßnahmen unterstützen.
Wie wirken sich aktuelle und geplante Gesetzgebungen auf europäischer Ebene auf den fairen Handel aus?
Die Entwaldungsrichtlinie wird vor allem bei Kakao und Kaffee schlagend. Da geht es darum, dass die Geokoordinaten der Anbauflächen erhoben werden müssen. Es ist wichtig, dass wir die bäuerlichen Genossenschaften dabei unterstützen. Mit der Fairtrade-Prämie beziehungsweise mit extra Projekten, werden wir das auch machen.
Das zweite große Thema, das noch komplexer ist, ist die Lieferkettenrichtlinie.
Da gibt es relativ lange Übergangsfristen. Die unmittelbar betroffenen Unternehmen sind von der Anzahl deutlich geringer als ursprünglich intendiert. Die mittelbar Betroffenen sind aber weiterhin ein großes Thema, weil die großen Handelsunternehmen ihre Vorlieferanten in die Pflicht nehmen werden. Das heißt, das Thema kann durchaus auch mittelständische Unternehmen beschäftigen. Die Richtlinie muss noch in österreichisches Recht überführt werden. Ich hoffe, dass das wirklich zeitnah passiert, damit sich Unternehmen darauf vorbereiten können.
Ist das ein uneingeschränktes Begrüßen der Lieferkettenverordnung seitens Fairtrade?
Ich halte es für wichtig, dass nicht die ethisch anspruchsvollen Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil haben. Die Unternehmen, die sich um ihre Lieferkette kümmern, die Maßnahmen setzen, haben aktuell einen Kostennachteil denen gegenüber, die das nicht tun. Das wird bis zu einem gewissen Grad durch diese neue Richtlinie ausgeglichen. Aber jetzt ist es wichtig, die Unternehmen nicht im Regen stehenzulassen. Jetzt geht es aber darum, dass man keinen Papiertiger schafft, sondern etwas, was Impact hat, ohne die Unternehmen überbordend mit Bürokratie zu belasten. Das eine schließt das andere nicht aus.
Wie lauten Ihre weiteren Ziele?
Wir wollen auch in diesem Jahr deutlich wachsen. Die Inflation ist jetzt auf dreieinhalb Prozent gesunken. Ich hoffe, dass auch dadurch das Konsumentenvertrauen und die Kaufkraft wieder zurückkommen. Es wäre nämlich wirklich schade, wenn diese Nachhaltigkeitspflänzchen, die in den letzten Jahren schön herangewachsen sind, verdorren.
Was können kleinere und mittlere Betriebe für Fairen Handel tun?
Kleine und mittelständische Betriebe haben natürlich oft andere Sorgen. Natürlich kann es sein, dass das Thema Nachhaltigkeit auf der Agenda nach hinten rutscht. Ich möchte nur wirklich appellieren, daran zu denken, dass das Thema Nachhaltigkeit großen Teilen der jungen Zielgruppe sehr wichtig ist. Den Kaffee für den Pausenraum aus fairem Handel zu beziehen ist eine sehr, sehr leichte Übung, kann aber eine subtile Botschaft sein, die bei den Leuten ankommt. Man fühlt sich einfach besser, für einen Arbeitgeber tätig zu sein, dem das Thema Zukunft wichtig ist. Mit Fairtrade-Produkten kann man da definitiv einen kleinen Beitrag leisten.
Fairtrade
Fairtrade ist ein weltweites Zertifizierungssystem, bei dem die Produzentinnen und Produzenten von einem Mindestpreis und einer genau festgelegten Prämie profitieren. Die Fairtrade-Standards ermöglichen Produzentenorganisationen die Gestaltung notwendiger Prozesse, zudem gibt es zusätzliche Unterstützung durch die Fairtrade-Produzentennetzwerke, beispielsweise durch Schulungen, Bewusstseinsbildung und Beratung direkt vor Ort. Höhere Preise und die zusätzliche Prämie führen zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen im Globalen Süden. Dieser positive Impact dient der für Unternehmen notwendigen Strategie zur risikomindernden Beschaffung und nachhaltigen Einkaufspraktiken.
Weiterführende Informationen über Fairtrade Österreich gibt es auf der Website.
Den ausführlichen Jahresbericht von Fairtrade Österreich finden Sie hier.