Human Resources

Fünf Ideen gegen den Personalmangel

Personal
10.05.2023

Wenn bekannte Recruiting-Methoden nichts mehr bringen, müssen Personalverantwortliche um die Ecke denken. Hier sind fünf Anregungen. Die wichtigste: anders denken als bisher.
Ein Puzzle, dessen einzelne Stücke Umrisse von Personen zeigen
Puzzle, dessen Teile die Umrisse von Personen zeigen.

Unternehmen kämpfen aktuell nicht nur mit unterschiedlichen externen Krisen, auch das interne Management macht vielfach Kopfzerbrechen. Nikolaus Schmidt, der vor der Gründung der Beratungsplattform Klaiton selbst in zahlreichen Transformationsprojekten beraten hat, listet typische Probleme auf: „Headcounts werden nicht genehmigt oder sind nicht budgetierbar, die Arbeit muss aber trotzdem gemacht werden. Auch fehlt in vielen Betrieben echtes Spezialistenwissen, zum Beispiel zu Themen wie Programmmanagement, Logistik oder Digitalisierung. Und ringen sich die Unternehmen tatsächlich dazu durch, die entsprechenden Experten anzuheuern, passen die marktüblichen Gehälter oft nicht mit den internen Gehaltsstrukturen zusammen, was zu Friktionen führen kann.“ Ebenfalls zu Problemen führt laut Schmidt die Tatsache, dass nicht selten auf bereits getroffenen Entscheidungen beharrt wird, selbst wenn es neue Erkenntnisse gibt, die alte Pläne obsolet machen. Ein explosiver Cocktail, der wertvolle Ressourcen bindet und frustriert, sich aber oft vermeiden lässt.  

Tipp 1: Nicht in die Ferne schweifen

om deutschen Hotelier Bodo Janssen (siehe Heft 2/23) kommt die erste Idee. Eines seiner Zimmermädchen wollte gar so gern in die Rezeption wechseln. Ein krasser Sprung, doch er ließ sie umschulen und hat heute die motivierteste Rezeptionistin überhaupt. Die Alternative? Irgendwann wäre sie gegangen. 
Spinnen wir den Faden weiter. Statt dauernd Lücken zu stopfen: Was wäre, würde man die Lücken verhindern, indem man seine Leute fragt, welcher Platz im Haus sie glücklich machen würde? Und beseitigt, was immer ihnen die Arbeit vermiest? Eine Mitarbeiterbefragung, denken Sie jetzt. Leider: Da wird fast immer gelogen. Geschlossene Fragen bringen ohnehin keine neuen Erkenntnisse. Davon kann der Headhunter Hans Jorda ein Lied singen. Er fischte u. a. als Neumann-Geschäftsführer jahrzehntelang Talente von immer dünneren globalen Märkten ab. 2016 machte er sich mit Jorda & Partners und einer neuen Dienstleistung selbstständig: Kolloquien, die sich tief in die Sorgen und Nöte der Schlüssel- und Führungskräfte einfühlen. Aus den Erkenntnissen baut er eine anonymisierte Lösung für die Geschäftsleitung. Die meisten Probleme, sagt er, verschwinden mit ein paar klugen Rochaden. Problem weg, Leute bleiben, Fluktuation sinkt.   

Tipp 2: Neue Kanäle nutzen

Nicht jede Neubesetzung braucht einen Headhunter. Dafür gibt es das Internet. Die Rede ist nicht von LinkedIn und Xing, wo penetrante Recruiter guten Kandidaten auf die Nerven gehen. Wir reden von dem Bild, das Patrizia Obrist, Co-Gründerin von Social Era, malt: Sonntagabend, unzufriedene Fachkräfte jeden Geschlechtes hocken zu Hause auf der Couch und scrollen ihren Social-Media-Feed durch. Da poppt ein Post auf: perfekter Job, nettes Unternehmen, gleich ums Eck, gute Stimmung. Ein Klick führt direkt auf die Bewerbungsseite. 
Woher das Internet all das weiß? Social Era saugt die Daten von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook, ab. Alles, was man hinterlässt, wenn man auf „Cookies akzeptieren“ klickt, wird einbezogen (ja, auch die Datingplattform). Daraus schneidert Obrist punktgenaue Kampagnen und passt sie laufend an. 2.000 Bewerbungen für 70 Unternehmen generierte ihr Start-up bereits. Was bei den Bewerber*innen am besten zieht? Coole Arbeitszeiten, freie Einteilung, extra Urlaubstage. Sympathische Vorgesetzte, Kolleg*innen, mit denen man Freitagnachmittag grillen kann. Echte Menschen, keine Stockfotos.

Tipp 3: Ändern Sie Ihren Stil

Karriereambitionen und monetären Forderungen zu weit nachzugeben kann gefährlich werden, wenn sie das Gesamtgefüge beschädigen. Ansprüche an die Lebensqualität hingegen sollte man ernst nehmen. Erlaubt ist alles von der Vier-Tage-Woche (die auch ihre Tücken hat) bis Work-from-everywhere (manche Unternehmen stillen das Abenteuerbedürfnis ihrer Leute, indem sie ihnen bis zu zwei Monate jährlich das Arbeiten von irgendwo zwischen Karibik und Hawaii erlauben) über familienfreundliche Arbeitszeiten und zusätzliche Urlaubstage (bringt mehr als mancher Bonus). Erlaubt ist, was den Teams gefällt. In Kombi mit wertschätzender wachstumsorientierter Führung und Mitbestimmung natürlich. Und einer sinnstiftenden Aufgabe. Bei deren Definition erlebt man viel Wildwuchs. „Wir entwickeln Software, die Servicetechnikern hilft“ entpuppt sich schnell als das, was es ist: ein Employer-Branding-Gag. 
Wer endlich die Gen Z gestemmt hat, kann sich gleich auf deren Nachfolgegeneration einstimmen. Die Ersten der kleinen Alphas, geboren ab 2010, tapsen gerade als künftige Lehrlinge in den Arbeitsmarkt. Aus heutiger Sicht suchen sie weniger die Selbstverwirklichung wie die Gen Z, sondern Halt, Orientierung und Sicherheit. Darauf kann man sich schon mal einstellen.

Tipp 4: Echte Gleichstellung leben

Das Thema sollte 2023 längst gegessen sein, ist er aber nicht: Frauen haben im Arbeitsmarkt noch immer die schlechteren Karten. Mit 20 zu jung, mit 30 zu schwanger, mit 40 zu teuer, mit 50 zu alt – und durchgehend schlechter bezahlt als gleich qualifizierte Männer. Wer den Staub von diesem Weiße-alte-Männer-Denken wegbläst, kann das Potenzial begabter Frauen jeden Alters heben: durch nachweisliche Gehaltsgleichstellung und idente Karrierechancen. Und natürlich durch Unterstützung bei der Last der einseitig verteilten Kindererziehungs- und Pflegearbeit. Es muss ja kein Betriebskindergarten sein, eine vom Unternehmen gesponserte Tagesmutter in der Nähe tut es auch. Oder ein Nachhilfeinstitut. Oder ein Pflegedienst für die alten Eltern. Fragt die Frauen, sie wissen, was sie brauchen!
Gehen wir weiter in der Liste regelmäßig diskriminierter Zielgruppen. Auf der stehen auch Menschen mit Behinderungen. Sie machen 19 (!) Prozent der Österreicher aus. Ein Teil davon mag für die gesuchten Positionen tatsächlich ungeeignet sein. Bei den anderen stellt sich die Frage, ob die Behinderung nicht an den eigenen Scheuklappen liegt. Warum soll ein/e Innendienstmitarbeiter*in nicht im Rollstuhl fahren, ein/e Buchhalter*in nicht Asperger haben? Ein/e Maschinist*in nicht taub, ein/e Telefonist*in nicht blind sein? Wem die Unkündbarkeit Sorgen macht: In den ersten vier Dienstjahren haben Menschen mit Behinderungen dieselben Rechte wie alle anderen. Die Ausgleichstaxe erspart man sich jedenfalls. 
Die nächste Zielgruppe sind Menschen aus anderen Herkunftsländern. Schauen Sie sich einmal die Website der Team23 Steuerberatung in Wien 20 an. Kein einziger deutschsprachig-österreichischer Name im Team, 80 Prozent Frauen, einige mit Kopftuch. Überdurchschnittlich viele Lohnverrechner*innen (eine verzweifelt gesuchte Profes­sion!), auffallend viele Berufsanwärter*innen. So mancher alteingesessene Steuerberater, der keinen Nachfolger findet, darf an dieser Stelle vor Neid erblassen.
Wem es gelungen ist, seine diffusen Ängste vor anderen Kulturen abzuschütteln, der kann sich an Social-Start-ups wie MTOP (More Than One Perspective) wenden. Die ehemaligen Teach-for-Austria-Fellows suchen den Anforderungen von Unternehmen entsprechende gut ausgebildete, oft akademische Kandidat*innen mit Migrationshintergrund. Dann schulen sie Fehlendes nach (von Deutsch bis heimisches Steuerrecht) und begleiten durch den Jobeinstieg.

Tipp 5: Boomer zurückholen

Endlich hat man seine Babyboomer in die Pensionswüste geschickt. Dann stellt sich heraus: Es geht nicht ohne sie. Wohl deshalb versuchte der Rewe-Konzern mit seiner „Pause vom Ruhestand“-Kampagne pensionierte Mitarbei­ter*innen zurück an Theke und Regal zu locken. Unbedenklich, solange deren Zuverdienst unter der Geringfügigkeitsgrenze (500,91 Euro/Mon., 14 x) bleibt. Mehr dürfen nur Regelpensionist*innen dazuverdienen, allen anderen drohen Pensionsabschläge. Für das Unternehmen eine Win-win-Situation: steuerliche Begünstigung und Mitarbei­ter*innen, die sich schon auskennen. Schon deshalb lohnt sich ein wertschätzender Abschied. Weil man nie weiß, wann man sie wieder braucht.