Die dunkle Seite von Leadership
Über den schmalen Grat zwischen Narzissmus und Psychopathentum im Top-Management und warum toxische Führung unbedingt der Vergangenheit angehören muss.

Machtmissbrauch, Korruption und verbale Gewalt: Was macht aus aufrechten Managern korrupte Betrüger? WU-Leadership-Experte Günter Stahl und sein Kollege Christof Miska, wissenschaftlicher Leiter des Master Leadership & Unternehmensführung der WU Executive Academy, haben sich den schmalen Grat zwischen Narzissmus und Psychopathentum im Top-Management genauer angesehen und erklären, warum toxische Führung unbedingt der Vergangenheit angehören muss. Was es in Zukunft braucht, ist New Leadership und moderne Führungskräfte, die auf Sinn, ethisches Verhalten und soziale Verantwortung setzen.
Der schmale Grat zwischen Macht und Moral
In unserer vielzitierten BANI-Arbeitswelt befinden sich viele Führungskräfte im Spannungsfeld zwischen Veränderungs- und Erfolgsdruck, persönlichem Erfolg und der Notwendigkeit ethischen Handelns. Während viele Manager*innen ethische und verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen, nutzen manche Führungspersönlichkeiten ihre Machtposition aus.
Die dunkle Seite von Leadership
Günter Stahl, Management-Professor und -Forscher an der WU Wien und langjähriger Vortragender an der WU Executive Academy, hat diese „dunkle Seite“ von Leadership untersucht. Unverantwortliches Leadership ist oft durch egoistisches Verhalten und das Streben nach persönlichen Vorteilen auf Kosten anderer geprägt. Prominente Beispiele für unethisches bis hin zu korruptem Verhalten in den Führungsetagen sind etwa die Lehman-Pleite von 2008, die nach dem Platzen einer Immobilienblase auch eine weltweite Finanzkrise einläutete, oder der Abgasskandal von 2015, bei dem Volkswagen die Abgaswerte einiger Modelle bewusst manipulierte, um bestimmte Abgasnormen einzuhalten.
Narzissten oder doch Psychopathen?

Um die Persönlichkeit dieser Führungskräfte besser zu verstehen, hat Günter Stahl gemeinsam mit Stephan Doering, Vorstand der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien, sowie Milda Zilinskaite, Forscherin an der WU Wien, in einem Forschungsprojekt sechs international bekannte Top-CEOs untersucht, die in Betrugsfälle verwickelt waren. Die Hypothese: Diese CEOs könnten psychopathologische Tendenzen aufweisen. Die dunkle Triade („Dark Triad“) von Persönlichkeit, die hier als Basis dient, besteht aus den drei Persönlichkeitsmustern Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus. Die Ergebnisse der Studie zeigen überdurchschnittliche Werte gegenüber der Gesamtbevölkerung, liegen aber unterhalb der psychopathischen Schwelle:
Fünf der sechs CEOs wurden wegen Machtmissbrauchs bzw. Korruption zu Haftstrafen verurteilt und wiesen starke machiavellistische Züge auf: die Tendenz zu lügen, zu betrügen und zu manipulieren.
Zwei von ihnen zeigten auch narzisstische Züge wie Grandiosität, Aufmerksamkeitssucht, Arroganz und Kritikunfähigkeit.
Unethisches Verhalten und die Unternehmenskultur
Die Studie untersuchte aber auch die Unternehmenssysteme und -kulturen, in denen sich diese CEOs bewegten. Fehlende ethische Strukturen, fehlende oder unethische Anreizsysteme in ihren Unternehmen und ein starker Druck, sich anpassen zu müssen, könnten ihr Fehlverhalten begünstigt haben. „In allen Unternehmen fanden wir starken Konformitätsdruck auf Top-Managementebene, der zu einigen der beobachteten Verhaltensanpassung führte“, so Stahl. Wenn Unternehmen ethische Strukturen und Anreizsysteme vernachlässigen, steigt also die Wahrscheinlichkeit für unethisches und unmoralisches Verhalten.
Auch wird im Nachhinein Fehlverhalten gern mithilfe der Gepflogenheiten und Normen des Unternehmens rationalisiert. Aussagen wie „Dieses Vorgehen ist weit verbreitet in unserer Branche“ oder „Der Zweck heiligt die Mittel“ helfen Führungskräften, sich selbst als ethische Personen zu sehen, obwohl ihre Handlungen das Gegenteil belegen. Stahl fand derartige Mechanismen in allen von ihm untersuchten Unternehmen und betont, dass unethisches Verhalten oft ganz langsam und kaum merklich zur Gewohnheit wird. Kleine Regelbrüche erscheinen mit der Zeit immer weniger problematisch, was dazu führt, dass sich Führungskräfte zunehmend in unethische Verhaltensmuster verstricken. Die gute Nachricht: „Auf jeden korrupten Manager kommt vermutlich ein Dutzend Führungskräfte, die verantwortungsvoll und sinnorientiert handeln“, sagt Günter Stahl. Die meisten Führungskräfte seien weder Heilige noch Betrüger, aber bestimmte Persönlichkeitsmerkmale in Kombination mit einer dysfunktionalen Organisationskultur können toxisches oder unethisches Verhalten begünstigen.
Daher sei es laut Stahl auch so wichtig, den (eigenen und den unternehmerischen) Fokus auf die „helle Seite“ von Leadership zu legen – denn auch sie kann durch Anreizsysteme sowie kulturelle und formelle Normen im Unternehmen aktiv gefördert werden.
Die helle Seite von Leadership

Im Gegensatz zur dunklen betont die „helle Seite“ die Bedeutung von persönlicher, sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung und Sinnorientierung, die über das Erreichen von rein wirtschaftlichen Zielen und KPIs hinausgehen. „Das menschliche Gehirn schenkt gerade in Krisenzeiten negativen Aspekten viel mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit als positiven. Und deshalb ist es unsere Aufgabe als Business School, in unseren Aus- und Weiterbildungsformaten – vor allem, aber nicht nur für Führungskräfte – ein positives Growth-Mindset zu schulen“, so Christof Miska. Nur so könne Potenzial für Innovation, Change und neue Geschäftsmodelle entstehen.
New Leadership – sinnorientiert, verantwortungsvoll und positiv
Die folgenden drei Ansätze von Leadership – auch, wenn sie teilweise nicht ganz trennscharf voneinander zu unterscheiden sind – finden sich auf der „hellen Seite der Macht“, im Bereich des New Leadership:
1. Purpose-driven Leadership
Purpose-driven Leadership konzentriert sich auf den tieferen Sinn und Zweck (Purpose) des Handelns von Führungskräften und Organisationen. In einer Welt voller Krisen, wie der Klimakrise oder globalen Spannungen, ist es essenziell, dass Führungskräfte das „Wofür“ des Unternehmens verstehen und danach führen und entscheiden. Christof Miska betont: „Der Unternehmens-Purpose – also der Sinn und Zweck eines Unternehmens – verbindet die Mitarbeitenden zu einem größeren Ganzen, einem höheren Ziel – er geht also über rein wirtschaftliche Ziele hinaus.“ Führungskräfte sollten ihren persönlichen Sinn idealerweise darin wiederfinden: „Leider ist das nicht immer der Fall“, so Miska. Der Purpose kann, muss sich aber nicht auf gesellschaftlichen und sozialen Impact erstrecken. Und manchmal bleibt es bei Marketing – eine Strategie, die auch zu Wertekonflikten führen kann, wenn das Unternehmen sich in Projekten für Nachhaltigkeit einsetzt, aber gleichzeitig Müll im großen Stil in armen Ländern entsorgt. Hier stehen Führungskräfte in der Verantwortung, Entscheidungen auch auf den unternehmerischen Purpose und die Werte des Unternehmens auszurichten.
Beim Corporate Purpose gibt es vier Dimensionen:
- Identität: Welche Werte und Visionen machen die Identität des Unternehmens aus?
- Leistung: Wie wird Erfolg gemessen?
- Ziele: Welche Ziele verfolgt das Unternehmen?
- Veränderung: Wie soll das Unternehmen mit Veränderung umgehen?
2. Responsible Leadership
Responsible Leadership fokussiert sich auf das ethische, moralische und sozial-gesellschaftlich verantwortungsvolle Verhalten von Führungskräften. „In der wissenschaftlichen Literatur wird hier vor allem die individuelle Ebene angesprochen – denn in den Führungsetagen gibt es häufig einen gewissen Handlungsspielraum“, sagt Christof Miska.
Auch die Integration von Prinzipien wie den SDGs und Environmental, Social and Governance (ESG) in die Unternehmensstrategie kann Responsible Leadership fördern.
Responsible Leadership zeigt sich durch:
- Ethisches Verhalten: Integrität in Führung und Mitarbeiter*innenbeziehung, keine Ausnutzung von Spielräumen zur eigenen Vorteilsnahme.
- Stakeholder-Orientierung: Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten, inklusive Umwelt und Gesellschaft.
- Werteorientierung: Entscheidungen auch gegen kurzfristige Vorteile, wenn sie den Unternehmenswerten widersprechen – im Extremfall bis hin zur Trennung vom Arbeitgeber.
- Responsible Leadership beinhaltet auch:
- Servant Leadership: Führung auf Augenhöhe, Unterstützung der Mitarbeitenden als „Enabler“.
- Shared Leadership: Förderung von Selbstverantwortung und Entscheidungskompetenz im Team.
3. Positive Leadership
Positive Leadership stellt Stärken, Ressourcen und Potenziale der Mitarbeitenden und Organisation in den Mittelpunkt, um Innovation zu fördern. Die Positive Organisationspsychologie setzt auf Lösungsorientierung. „Lösungsorientierung ist eine wichtige Haltung, bedeutet aber nicht, dabei die Probleme aus den Augen zu verlieren – man lässt sich nur nicht von ihnen blockieren“, sagt Miska.
- Stärkenorientierte Mitarbeiterführung: Feedback, das Talente sichtbar macht und gezielt einsetzt.
- Appreciative Inquiry: Potenziale statt Probleme in den Fokus rücken – mit Fragen wie: „Was machen wir gut?“ oder „Was wäre ideal für die Zukunft?“
Fazit
Egal, auf welchen Ansatz des New Leadership man sich beruft – „die helle Seite“ von Leadership gilt es immer wieder proaktiv in den Fokus zu rücken, resümiert Christof Miska: „Die dunkle Seite von Leadership zieht womöglich mehr Aufmerksamkeit auf sich, aber die helle Seite macht Unternehmen erst wirklich zukunftsfähig, innovativ und resilient.“