200 Jahre Piatnik
Spiele aus Wien für die Welt
Keine zehn Jahre nachdem der Wiener Kongress nach der Niederlage Napoleon Bonapartes Europa neu geordnet hatte, wurde im Jahr 1824 in Wien Neubau mit einer Kartenmalerei der Grundstein für eine bis heute anhaltende Erfolgsgeschichte gelegt. Ein Mann mit Namen Anton Moser war damals Gründer und Chef des Unternehmens. Mehr als 100 Spielkartenmacher gab es zu diesem Zeitpunkt in Wien. Nur kurz bevor Moser sein Unternehmen gründete, wurde in Budapest Ferdinand Piatnik geboren. Der junge Ferdinand dürfte ebenfalls Interesse an Kartenspielen gehabt haben, denn er ging bei einem ungarischen Spielkartenmacher in die Lehre und kam infolge der traditionellen Wanderschaft eines Handwerksgesellen über den Umweg Bratislava nach Wien, um bei Moser zu arbeiten. Nur kurze Zeit später verstarb Moser allerdings und Piatnik übernahm als junger Mann im Jahr 1843 das Unternehmen.
Spielen in Osteuropa
Piatnik heiratete außerdem Mosers Witwe und sorgte für Nachwuchs: „Die beiden ältesten Söhne von Ferdinand Piatnik stiegen in das Unternehmen ein und seit 1882 heißt der Verlag Ferd. Piatnik & Söhne“, sagt Dieter Strehl, Geschäftsführer und Gesellschafter des Unternehmens. Strehl ist in fünfter Generation ein Nachkomme Piatniks. Im Jahr 1891 zog das Unternehmen in das Gebäude um, in dem es heute sitzt und produziert, in die Hütteldorfer Straße 229-231 im 14. Wiener Gemeindebezirk. Damals stellte man zudem auf moderne Industrieproduktion um und der neue Standort bot 20.000 Quadratmeter an Produktions- und Lagerfläche. Doch das Unternehmen wuchs nicht nur in Wien, sondern über die Grenzen hinaus. Durch die Übernahme anderer Spielkartenhersteller und Neugründungen von Spielkartenfabriken baute man weitere Standorte in den österreichischen Kronländern auf.
„Früher hatten wir eine Spielkartenfabrik in Prag, in Budapest und in Krakau und eine Papierfabrik in Slowenien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde jedoch alles von den kommunistischen Regierungen enteignet“, erzählt Strehl. Letztlich blieb Piatnik nur der Standort in Wien, denn die Hütteldorfer Straße lag während der Besatzungszeit in der französischen Zone. Damit war es dem Unternehmen möglich, weiterhin ihren Geschäften nachzugehen. In den 1950er-Jahren entwickelte sich das Unternehmen vom reinen Spielkartenverlag zum Verlag mit Gesellschaftsspielen. Und als der Eiserne Vorhang fiel, eröffnete das Unternehmen wieder Vertriebsgesellschaften in Budapest und Prag, um eigene Produkte, aber auch Spiele von anderen Unternehmen zu verkaufen.
Mittlerweile hat das 200 Jahre alte Familienunternehmen ein Sortiment von 600 Artikeln im deutschen Sprachraum anzubieten, rund 100 Mitarbeiter*innen in Wien und vertreibt die Produkte von Australien bis Kanada weltweit sogar in 70 Ländern. Rund 25 Millionen Spielkartenpakete, drei Millionen Gesellschaftsspiele und eine Million Puzzles werden so jährlich verkauft. „Spiele sind in etwa wie Kinderbücher. Diese werden zuerst zu 3.000, 4.000, 5000 Stück aufgelegt. Unter diesen Stückzahlen würde sich der ganze Aufwand nicht rechnen“, erklärt Strehl die Vorgehensweise bei der Produktion. Ein großer Faktor, ob ein Spiel zu einem Erfolg wird oder nicht, ist die Auszeichnung „Spiel des Jahres“, die es in vielen Ländern gibt. Diese Spiele können dann durchaus eine Verkaufszahl von 400.000 Stück erreichen.
Auf der Suche nach dem Spiele-Hit
Zu den erfolgreichsten Gesellschaftsspielen zählen bei Piatnik "Activity", das sich seit der Einführung 1990 in den unterschiedlichen Sprachen über die Jahre zwölf Millionen Mal verkaufte, oder Tick Tack Bumm, das es seit 1992 gibt, und rund elf Millionen Mal über die Ladentische ging. Doch manchmal kann man potenzielle Spielehits übersehen, wie es zu Beginn bei einem Bestseller der vergangenen Jahre war. Zuerst lehnte man bei Piatnik das Spiel Smart 10, bei dem man zehn Antwortmöglichkeiten auf eine Frage hat, ab und wollte sich die Lizenz nicht sichern. Doch dann wurde das Spiel von anderen Verlagen im Ausland herausgebracht. „Das Spiel wurde in Dänemark und Schweden zum Spiel des Jahres erklärt“, so Strehl, und so sicherte man sich dann doch noch die freien Rechte für das Spiel in Ländern wie Deutschland, Ungarn und Slowenien. „Je länger man Spiele verlegt und versucht erfolgreiche Produkte auszusuchen, umso öfter passiert es einem, dass man daneben liegt“, gibt Strehl zu.
Ideen über Ideen
Piatnik bekommt jedes Jahr 1.000 Vorschläge für neue Spiele. Entweder kommen diese Ideen von professionellen Spiele-Autor*innen oder von Leuten, denen erstmalig etwas einfällt. Auch Unternehmen in anderen Teilen der Welt, die ihre erfolgreichen Artikel anbieten wollen, sind dabei. „Wir haben eine Spieleredaktion bestehend aus vier Personen, die diese Flut an Ideen sichten und die interessant aussehenden Sachen dann spielen“, so Strehl. Zusätzlich gibt es Testgruppen außerhalb des Unternehmens, denen die Testspiele gegeben werden, damit sie diese ausprobieren können. Doch was benötigt ein Spiel, um veröffentlicht zu werden? „Man versucht Spiele zu finden, die einem in den Flow eintauchen lassen und bei denen die Wiederspielrate hoch ist“, meint Strehl.
Rund 20 bis 25 Spiele von nationalen und internationalen Autor*innen werden aus den Vorschlägen jedes Jahr veröffentlicht und beinahe alle erreichen den Break-even Point, wie Strehl sagt. Der Geschäftsführer selbst spielt in seiner Freizeit gerne Tarock. Ein Kartenspiel, das sich genau wie Schnaps-, Rummy- und Bridge-Karten weiterhin sehr gut verkauft. Mittlerweile sind bei Piatnik bereits Familienmitglieder der sechsten und siebten Generation im Unternehmen tätig und man möchte weiter ein Familienbetrieb bleiben, und hat keine Ambitionen andere Spieleproduzenten zu kaufen oder sich selbst zu verkaufen. Die Erfolgsgeschichte gibt dem Spieleverlag Recht, und das seit 200 Jahren.