Digitales Lernland Österreich

Digitale Weiterbildung
11.05.2022

 
Wenn es um neue und kreative Online-Lernformate geht, sind österreichische ­Unternehmen an vorderster Front mit dabei. Unterschiedliche Zielgruppen werden ­angesprochen und auch die Ansätze sind verschieden.
digitales Lernland Austria

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ heißt ein 2.000 Jahre altes Zitat des Philosophen Lucius Annaeus Seneca. Im Jahr 2022 könnte man es etwas umformulieren und daraus „Nicht in der Schule, sondern online lernen wir“ machen. Denn, digitale Lernplattformen werden weltweit immer beliebter und Österreich kommt durchaus eine Vorreiter-Rolle zu, was die Entwicklung von kreativen Plattformen betrifft. Besonders durch die bereits über zwei Jahre andauernde Corona-Pandemie hat sich ein großer Teil unserer Arbeits- und Lernwelt in das Internet verlagert. Jours fixes und Abteilungssitzungen werden über Zoom von zu Hause aus abgehalten, Kinder machen ihre Hausübungen über Tablets und Laptops und so manche Studierende haben bis vor kurzer Zeit noch keinen Hörsaal aus der Innenperspektive betrachten können, da Vorlesungen und Seminare über Online-Anwendungen abgehalten wurden und fallweise auch weiterhin werden. Viele Unternehmen und so manche Universität erlebten einen Digitalisierungsschub, der wohl ohne Pandemie nicht in dieser Form und Geschwindigkeit gekommen wäre. Ungebunden von Ort und manchmal auch Zeit entstand eine neue Arbeitsrealität, die sich auch E-Learning-Lernplattformen zunutze machen. Die Popularität steigt und ebenso steigen die Bedürfnisse nach Online-Unterstützung.

Ein Start-up mit drei Milliarden an Wert
Eine erste Lernmaschine erblickte schon lange vor der Erfindung des Internets das Licht der Welt. Der italienische Ingenieur Agostino Ramelli erfand zum Ende des 16. Jahrhunderts eine Maschine mit einem Leserad, die es ermöglichte, auf unterschiedliche Literatur mit wenig Aufwand zurückzugreifen zu können, und man sich somit Wege in der Bibliothek ersparte. Formen von computergestütztem Lernen wurden hingegen erstmalig in den 1970er-Jahren entwickelt und getestet. Beide Formen haben natürlich wenig mit den heutigen Plattformen gemein. Eines der erfolgreichsten Unternehmen der Branche kommt aktuell aus Österreich, die 2016 in Wien von Felix Ohswald und Gregor Müller gegründete Nachhilfe-Plattform GoStudent ist drei Milliarden Euro Wert und wächst stark. Das Erfolgsrezept ist einfach, aber gut durchdacht. Nachhilfelehrer und Nachhilfesuchende werden via Live-Videogespräch zueinander gebracht. Gelernt werden können alle gängigen Schulfächer und daher erstreckt sich die Zielgruppe auf alle Schülerinnen und Schüler. Rund 1,5 Millionen Lehreinheiten zu je 50 Minuten werden in 22 Ländern monatlich gebucht, wie das Unternehmen bekannt gibt. Im Jänner 2022 konnte das Start-up 300 Millionen Euro an Risikokapital durch Investoren einsammeln. Ein höheres Investment wurde in Österreich zuvor noch nie aufgenommen, wie vonseiten von GoStudent betont wird. Und GoStudent investiert selbst. Die Lernplattformen Seneca Learning aus Großbritannien und Tus Media wurden erst kürzlich übernommen. „Das Bildungswesen hat sich rasant verändert. Es gibt eine große Chance, wie Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt lernen, durch den Zugang zu hochwertiger Bildung zu verändern. Wir freuen uns sehr über die Unterstützung neuer und bestehender Investoren, die Bildung weltweit zu revolutionieren“, sagt Felix Ohswald.

Ultraschall im Wohnzimmer
Lernen müssen auch Ärztinnen und Ärzte, Medizin-Studierende und medizinisches Personal, und das geht ebenfalls seit einigen Jahren auf digitaler Ebene. Im Jahr 2009 wurde das Unternehmen 123sonography gegründet. Es ist mittlerweile zu einer der zentralen Lernplattformen im medizinischen Bereich aufgestiegen. „Es bestand in der Medizin und gerade in der Bildgebung immer schon ein sehr großer Bedarf an Fortbildung. In der Medizin soll Aus- und Weiterbildung ja ein Leben lang durchgeführt werden. Da ich immer schon viel Fortbildung gemacht habe, war es naheliegend, dass Material dafür in ein Videoformat zu bringen und über das Internet anzubieten“, sagt der Gründer und CEO von 123sonography, Univ-Prof. Dr. Thomas Binder, im Gespräch mit die wirtschaft. In manchen Ländern gibt es den Beruf des Sonographers. Dabei handelt es sich um Menschen, die die Ultraschalluntersuchung im klinischen Bereich durchführen. Nach diesem Beruf hat sich 123sonography benannt. Die Kurse, die die Plattform anbietet, werden nur auf Englisch gehalten, da die Kund*innen weltweit zu Hause sind. 500.000 Nutzerinnen und Nutzer aus 190 Ländern verwenden die Videos, um sich fortzubilden, wie Binder betont. „Unsere stärksten Länder sind USA, Deutschland, England, Australien, Österreich, doch auch Indien, Pakistan und Ägypten.“ Im Monat sind es meist zwischen 70.000 und 100.000 und auf YouTube sind es rund sechs Millionen Klicks, bei den Videos. 123sonography bietet auch immer wieder kostenfreie Videos zur Fortbildung an. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, wurde ein kostenlose Webinar für die Zivilbevölkerung und Gesundheitspersonal zu medizinischer Not- und Katastrophen-Medizin, Zivil- und Strahlenschutz sowie Krisenversorgung angeboten. „Ja, wir haben das auch in der Vergangenheit schon gemacht – damals ganz am Anfang der Covid-Krise, um Informationen direkt aus den betroffenen Zentren (Italien) an die Medizinische Fachwelt zu bringen. Wir haben dies als Dienstleistung an die Kollegenschaft gesehen, um ihnen im Kampf gegen Covid zu helfen“, sagt CEO Binder. Und das war ein großer Erfolg. 14.000 waren bei dem Webinar live dabei damals und offline wurde das Video über 100.000-mal angesehen.

Roboter in der Schule
Eine ganz andere Zielgruppe hat das 2015 von Anna Iarotska gegründete Wiener Unternehmen Robo Wunderkind. Es sind Kinder ab fünf Jahren, die durch einen Roboter-Baukastensystem spielerisch das Programmieren lernen sollen. „Mit unseren Baukästen können Kinder in nur wenigen Minuten Roboter bauen und mit Hilfe der Icon-basierten App spielerisch programmieren lernen, experimentieren und mühelos in die MINT-Welt eintauchen“, sagt Robo Wunderkind Communication Managerin Vanessa Eggert. Den Kindern sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Sie können Roboter-Tiere, Fahrzeuge oder auch alltägliche Gadgets bauen.

Vanessa Eggert, Robo Wunderkind
Vanessa Eggert, Robo Wunderkind

Somit soll nicht nur ein Einstieg in die Welt des Programmierens gelingen, sondern auch Fähigkeiten wie Kreativität, Pro­blemlösung und logisches Denken gefördert werden. Wichtige Fragen bei der Gründung 2015 waren, wie man Kinder auf die Zukunft vorbereiten kann und welche Skills unverzichtbar für den Erfolg sind. „Unsere Antwort: Wir möchten Kinder zu Erfindern machen, sie für Technologie und Wissenschaft begeistern“, betont Eggert. Durch die eigens entwickelte App können die Kinder die gebauten Roboter steuern und dazu müssen sie noch nicht lesen können. „Unsere App ist in drei Programmier-Stufen gegliedert und bietet so Hands-on-Coding für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich; aufgrund der Icon-basierten Struktur müssen die Kinder nicht einmal lesen können“, sagt Eggert. Robo Wunderkind ist mittlerweile in 24 Ländern vertreten. Es startete als B2C-Unternehmen und richtete sich zu Beginn an Familien in Europa. Doch nun schaut man vermehrt auf den weltweiten Bildungsmarkt. So wird auf der Homepage neben Produkten für Privatkunden auch ein spezielles Education Kit für Schulen angeboten. „Experten schätzen, dass 65 Prozent der Kinder, die heute eingeschult werden, in einem Beruf arbeiten, der noch nicht existiert. Das stellt enorme Herausforderung an den Bildungssektor, nicht nur in Österreich oder in Europa, sondern weltweit“, so Eggert. So unterschiedlich die drei vorgestellten Lernplattformen sind, so gut funktionieren sie auf ihrem jeweiligen Gebiet. Egal, ob eine breitere Maße wie bei GoStudent angesprochen wird, Medizinpersonal bei 123sonography oder Kinder, wie im Fall von Robo Wunderkind, alle drei sind digitale Erfolgsgeschichten made in Austria.