Für den Fall des Falles

23.06.2020

Mögliche Unfälle, Krankheiten und Schicksalsschläge gedanklich zu verdrängen, ist menschlich und somit auch verständlich. In den letzten Monaten ist das Bewusstsein rund um die eigene Sterblichkeit zweifellos gestiegen. Dem Österreichischen Verband Financial Planners zufolge hat die Nachfrage nach Maßnahmen wie Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung seit Ausbruch der Pandemie rasant zugenommen. Vor diesem Hintergrund plädiert die gemeinnützige Organisation dafür, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen. Vorstandsmitglied und Private-Banking-Experte Rainer Bartusch erläutert vier wesentliche Schritte zur richtigen Vorkehrung.

Einer 2019 durchgeführten Studie der Österreichischen Notariatskammer zufolge widmen Österreicher dem Thema Vorsorge hohe Aufmerksamkeit und sind sensibler geworden. Ein Grund dafür ist die älter werdende Gesellschaft, für die eigene Selbstbestimmung hohe Priorität hat1. Im letzten halben Jahr ist allerdings auch jüngeren Menschen vermehrt bewusst geworden, wie unerwartet und schnell das Leben zu Ende gehen kann. „Angstbesetzte Themen wie Krankheiten oder Unfälle werden häufig verdrängt und im Fall der Fälle gibt es meist keine entsprechenden Vorkehrungen. Das macht es einem selbst oder den Angehörigen umso schwerer. Besser ist es, sich frühzeitig mit möglichen Szenarien auseinanderzusetzen und auch mit Familie und Freunden darüber zu sprechen“, so Bartusch, Vorstandsmitglied des Verbandes Financial Planners und Berater im Bereich Private Banking der Ersten Bank in Wien. Vor diesem Hintergrund gibt er vier To Do‘s an die Hand.

1. Testament: Kreisende Geier ruhen nicht

Mit dem Ableben tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Nach dem Sprichwort „Das Gut fließt abwärts wie das Blut“ entspricht diese aber oft nicht dem tatsächlichen Willen des Verstorbenen. Durch das Erstellen eines klar formulierten Testaments kann hier entgegengewirkt werden und Streitigkeiten zwischen den Erben wird vorgebeugt. „In einigen Fällen ist ein Testament ganz besonders wichtig“, konkretisiert Bartusch und spricht dabei vor allem alleinstehende Menschen, Patchwork-Familienmitglieder und Menschen, die in eingetragenen oder auch nicht eingetragenen Partnerschaften ohne oder mit Kindern leben, an. „Hier ist aus meiner Sicht hoher Beratungsbedarf gegeben, da die Komplexität entsprechend zunimmt“, ist er überzeugt. In vielen Fällen hat ein plötzliches Ableben existenzbedrohende Folgen für die Angehörigen. Aus der Studie der Notariatskammer zeigt sich: Je älter, desto eher gibt es ein Testament. Bei den 60- bis 69-jährigen Österreichern sind es fast 36 Prozent, bei den 30- bis 39-jährigen elf Prozent. Der Finanzplaner, der seit 1989 für die Erste Bank tätig ist, rät zudem: „Da sich Lebenssituationen ändern, ist es empfehlenswert, Testamente turnusmäßig auf die Richtigkeit der aktuellen Fallkonstellation zu prüfen. Als Turnus empfiehlt sich ein Zeitraum von fünf Jahren. Das Testament lässt sich jederzeit ändern, immer handschriftlich, mit Datum, Ort und Unterschrift. Für die Gültigkeit ist keine notarielle Beglaubigung notwendig. Allerdings müssen gewisse Formvorschriften erfüllt werden, weshalb es empfehlenswert ist, sich entsprechend beraten und das Testament auch im Testamentsregister erfassen zu lassen.“

2. Vorsorgevollmacht: Hab und Gut in vertrauten Händen

Es muss nicht immer ein Ableben sein – auch eine unvorhergesehene Krankheit oder ein schwerer Unfall mit gravierenden gesundheitlichen Konsequenzen kann Menschen ihrer Handlungsfähigkeit berauben. Lediglich vier Prozent der Österreicher sind sich dessen bewusst und haben eine Vorsorgevollmacht verfasst. Die meisten Vorsorgevollmachten gibt es übrigens in Tirol (sieben Prozent der Bevölkerung), die wenigsten in Salzburg (ein Prozent der Bevölkerung). „Viele denken, dass ein

erwachsenes Kind oder der Lebenspartner automatisch entscheiden darf, wenn Eltern oder Partner dazu nicht mehr in der Lage sind. Das ist falsch, es wird immer eine entsprechende Vollmacht benötigt“, so Bartusch, der einer Denkweise à la „mir wird schon nichts Schlimmes passieren“ nur wenig abgewinnen kann. Sollte keine Vorsorgevollmacht vorhanden sein, wird vom Gericht ein Sachwalter bestimmt. Vielen Menschen ist jedoch nicht bewusst, dass in einem solchen Fall ein Dritter über die Geschicke der Angehörigen bestimmt. Bei Bedarf können unterschiedliche Personen für die diversen Bereiche – etwa Medizinisches, Immobilien, Wertpapiere – bevollmächtigt werden. Bartusch rät, sich ab der Volljährigkeit mit dem Thema Vorsorgevollmacht auseinanderzusetzen. „Das Bundesministerium für Justiz stellt ein Musterformular über 10 Seiten zur Verfügung, das in weniger als einer Stunde ausgefüllt werden kann. Dies empfiehlt sich als Vorbereitung für notwendige Termine mit dem Rechtsanwalt, Notar oder Finanzplaner. Dem relativ geringen Zeitaufwand steht im Ernstfall ein großer Nutzen gegenüber“, ergänzt er.

3. Patientenverfügung: Selbstbestimmung auch in schweren Zeiten

Acht Prozent der Österreicher haben eine Patientenverfügung festgelegt. Damit schützen sie sich davor, dass Ärzte sie gegen ihren Willen bis zur letzten Stunde hin mit allen Möglichkeiten der modernen Medizin behandeln, falls sie ihren Willen selbst nicht mehr kundtun können. Bartusch zufolge gibt es hier einige Hindernisse: „Problematisch ist, wenn Patientenverfügungen nicht klar verfasst sind, was in der Praxis leider häufig vorkommt und dadurch Angehörige in die Situation versetzen, folgenreiche Entscheidungen zu treffen, ohne den Willen des Familienangehörigen zu kennen. Aus diesem Grunde sollte eine Patientenverfügung nicht ohne Beratung erstellt werden.“ Des Weiteren ist es dem Experten zufolge sinnvoll, das Dokument auch im Patientenverfügungsregister des österreichischen Notariats und im Patientenverfügungsregister der österreichischen Rechtsanwälte zu registrieren, was auf Wunsch des Betroffenen möglich ist. Jede Hinterlegung in diesen Registern gibt die Sicherheit, dass bei Eintreten des jeweiligen Ereignisses das Dokument verfügbar ist und damit der Willen des Patienten Berücksichtigung findet.

4. Digitaler Nachlass: Postmortaler Datenschutz

Immer mehr ein Thema wird der sogenannte Digitale Nachlass. Denn wir alle hinterlassen tiefe Spuren in der digitalen Welt. „Man denke hier beispielsweise nur an Facebook, Twitter, Linkedin, E-Mail und Paypal-Accounts oder Dokumente in cloud-basierten Online-Speicherorten“, so Bartusch. Der digitale Nachlass geht nämlich in die Gesamtrechtsnachfolge über. Das heißt, die Erben entscheiden, was mit den Accounts geschieht. Bartusch zufolge ist es demnach umso wichtiger zu regeln, wie mit den Daten umgegangen werden soll bzw. welcher Erbe auf welche Daten Zugriff haben soll oder nicht. „Regelt man den digitalen Nachlass nicht, kann es zu einer Reihe von Problemen kommen. Es bleiben beispielsweise Vermögenswerte unerkannt oder Kosten fallen an, weil zahlungspflichtige Internetdienste weiter laufen“, warnt der zertifizierte Finanzplaner

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