Die Kraft der Zerstörung

Redaktion Die Wirtschaft
10.04.2012

Jede Krise hat etwas Gutes, denn sie schafft Raum für Erneuerung. „Schöpferische Zerstörung“ nannte der große österreichische Ökonom Joseph Schumpeter diesen Prozess, der von innovativen Unternehmern getragen wird und für einige als Rezept in der derzeitigen Krise gesehen wird.

An seinem Auftreten kann es nicht gelegen haben, dass Joseph Schumpeter gemeinhin heute nicht als das gesehen wird, was er für sich selbst in Anspruch nahm. Der größte Ökonom der Welt wollte er sein – nebenher übrigens auch noch der beste Reiter Österreichs und der beste Liebhaber Wiens. Zwei der drei Ziele habe er erreicht, pflegte Schumpeter stets zu behaupten. Dabei sprach wohl mehr der Sarkastiker als der Selbstüberschätzer aus dem 1883 in Mähren geborenen und in Wien aufgewachsenen Ökonomen. Denn Schumpeter war nie um eine flinke Zunge verlegen, genoss es, wenn er die prüde Wiener Gesellschaft scho-ckieren konnte, weshalb er sich öffentlich gerne in Gesellschaft von stadtbekannten Prostituierten zeigte. Schumpeter war aber auch ein Fanatiker, der sein tägliches Handeln abends im Schulnotensystem benotete und schon zu Lebzeiten darunter litt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit immer mehr dem im selben Jahr wie er geborenen John Maynard Keynes oder dem in ebendiesem Jahr verstorbenen Karl Marx gebührte. Die Visionen Marx’ und Keynes stehen vermutlich auch im größten Widerspruch zu den Ideen Schumpeters, der für viele der mystischste der großen Ökonomen ist. Denn er lehnte zwar die Staatsgläubigkeit von Marx und Keynes entschieden ab, galt andererseits aber auch als
Kritiker der sogenannten Wiener Schule um Hayek und Mieses, der er trotz seiner Herkunft nie angehörte. Wofür aber steht Schumpeter?

Schöpferische Zerstörung
Schumpeter folgend, befindet sich die Wirtschaft in einem ständigen Ungleichgewicht, das aber naturgegeben sei und Entwicklung fördere. Der wichtigste Prozess dabei wird durch Schumpeters wohl bekanntesten Terminus, der „Schöpferischen Zerstörung“, beschrieben. Als schöpferische Zerstörer treten dynamische Unternehmer auf, die nach ständiger Innovation streben und sich vom nach reiner Kapitalvermehrung strebenden Kapitalisten abheben. Dahinter steckt ein evolutionstechnologischer Gedanke, wonach neue Produkte immer wieder alte verdrängen und neue Produktionsmethoden ältere ersetzen werden. Als erster großer Theoretiker erkannte Schumpeter somit den Unternehmer als innovativen Motor der Wirtschaft. Eine weitere zentrale und derzeit wieder heiß diskutierte Annahme Schumpeters ist die Definition der Krise als lebensnotwendiger Nährboden für innovatives Unternehmertum. Jede Krise hat also etwas Positives. Folgender Zyklus soll diese Annahme veranschaulichen. 

Vier Konjunkturphasen
In der ersten Phase liegt die Konjunktur am Boden. Dieser Umstand bietet aber den Nährboden für neue innovative Produkt-ideen, worauf Produktion, Auslastung und Nachfrage steigen. In der zweiten Phase prosperiert das Geschäft, es liegt womöglich eine Monopolstellung vor, und man fährt fette Gewinne ein. Es ziehen aber aus unternehmerischer Sicht bereits dunkle Wolken auf, da erste Imitatoren auftreten und der Markt allmählich gesättigt ist. In der dritten Phase folgt die Rezession. Aufträge sinken und das Unternehmen kann seine Wettbewerbsfähigkeit nur durch Folgeinnovationen behaupten. Gelingt diese Rückkehr zu Schritt eins nicht, folgt die Depression und das einst prosperierende Unternehmen verschwindet oftmals vom Markt und macht Platz für neue und innovativere Konkurrenten. Unternehmen verlören ihre Lebenskraft, wenn ihre Produkte unzeitgemäß geworden sind, beschreibt Schumpeter diesen positiven Effekt der Zerstörung und Erneuerung.

Angebot entscheidet
Als Abgrenzung zu seinem alten und bekannteren Widersacher Keynes sieht Schumpeter also nicht die Nachfrage den Gang der Dinge bestimmen, sondern das Angebot. Wenn bei Keynes soziale Gerechtigkeit einen zentralen Wert seiner Theorie einnimmt, steht bei Schumpeter Innovation im Mittelpunkt. Von staatlichem Eingreifen hielt Schumpeter nichts, denn Innovationen entzögen sich der Planung, und die Überschätzung von Wissen und Erfahrung führe in der Wirtschaft oft zur Pleite und in der Wissenschaft in eine starre Ideologie.

Was hätte also Schumpeter zur momentanen Krisenbewältigung gesagt? Nichts Gutes. Staatliche Konjunkturpakete für nicht mehr wettbewerbsfähige Produkte, die nur mittels Abwrackprämien an den Kunden gebracht werden können, verhindern die „Schöpferische Zerstörung“. Doch auch der von manchen Neoklassikern vertretene Laissez-faire-Liberalismus ginge Schumpeter  zu weit. Denn im Gegensatz zur Realwirtschaft könne sich die Finanzsphäre weder im Aufschwung noch im Abschwung selbst stabilisieren. Die Kopplung von Realwirtschaft und Finanzsphäre solle folglich im Aufgabenbereich des Staates liegen. 

Schumpeter lässt sich auch 52 Jahre nach seinem Ableben in keine klassische ökonomische Schule einordnen. Das macht seine Ideen interessant. Und vielleicht ist gerade die anhaltende Wirtschaftskrise der richtige Zeitpunkt, um Schumpeters Visionen auch von politischer Seite wieder verstärkt zu verfolgen. Dass die Staatenlenker seit Jahren mehr oder minder an den Zeilen seines alten Widersachers Keynes kleben, hätte Schumpeter zu Lebzeiten wohl nur schwer verkraften können.

Text: Daniel Nutz

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