Achtung – Achtsamkeit!

Mag. Dr. Franz J. Schweifer
11.09.2017

Wenn Sie einen Begriff nennen müssten, der in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle spielen wird: Wie würde er lauten? Will man Trendforschern, Berichten und Medien glauben, so heißt die eindeutige Antwort: Achtsamkeit! Als Schlagwort immer präsenter, beinahe inflationär – und doch noch seltsam schüchtern, exotisch. Eine Spurensuche.

Knapp 1 Million gegoogelte Treffer unter „Achtsamkeit“, über 31 Millionen unter „mindfulness“. Jedenfalls ist die rein quantitative Mächtigkeit der Begriffe evident. Doch auch qualitativ scheinen sie mächtig wirksam, ja zum Megatrend zu werden, wie etwa von Zukunftsforscher M. Horx prognostiziert („trendupdate“ vom 28.01.2016).  

Ein neuer Anti-Trend

San Francisco, Mitte Februar 2014. Zweitausend Menschen versammeln sich anlässlich der Konferenz Wisdom 2.0. Es sind Adepten einer neuen Bewegung, die sich an der US-Westküste formiert. Deren wichtigstes Leitwort lautet: mindfulness. Die Teilnehmerzahl hat sich in wenigen Jahren vervielfacht und das Thema füllt mittlerweile zig Bücher, ziert Titelseiten zahlreicher Magazine, darunter sogar des Time Magazine. Die Wisdom 2.0 ist quasi das Gipfeltreffen der Szene, begründet vom Yoga-Lehrer Soren Gordhamer. Anlass und Ausgangslage der Bewegung, die er beschreibt, kommen auch uns in Europa bekannt vor: in einer elektronisch multivernetzten Welt seien wir zwar mit mehr Menschen denn je verbunden, gleichzeitig gehe die echte Zwischenmenschlichkeit verloren. Der digitale Stress mache Nutzer zu Benutzten, die unentwegt ihre E-Kontos checken müssten. Und immer mehr gleichzeitige Projekte würden immer langsamer fertig. Was vielen privat längst vertraut ist, wird auch im Business zur relevanten, weil auch eine messbaren Größe: Arbeitsausfälle und Unfälle. Blackouts. Zu wenig Reload, zu viel Overload. 

Eine neue Art des Wirtschaftens, Denkens, Fühlens?

Das befeuert wiederum die (auch ökonomisch gefärbte) Motivation, Abhilfe zu schaffen. Den boomenden Markt teilen sich immer mehr Personal-Coaches und Achtsamkeitstrainer. Sie sollen den überforderten Techno-Junkies und Multi-Taskern wieder simples Monotasking beibringen. Geradezu grotesk. Aber trendige Realität.  

Ebenso grotesk, jedenfalls bemerkenswert: Die wachsende Achtsamkeitsgemeinde habe ihr Kraftzentrum nicht zufällig in der Heimat derjenigen Firmen, die ursächlich am Entstehen des Problems beteiligt seien und sich nun selbst an die Spitze einer Gegenbewegung stellten – im Silicon Valley. Heimat bekannter Soft- und Hardwaregiganten wie auch kleiner, unkonventioneller Start-ups. So B. Mrozek und M. Probst in ihrem ZEIT ONLINE-Bericht „Sie sind alle Omline“ vom 20.03.2014. Ihrem optimistischen Bericht zur „spirituellen Reise nach Kalifornien“ ist zu entnehmen, dass zwar die Mikrokosmen vor Ort nicht unterschiedlicher sein könnten, dennoch eine gemeinsame Struktur bilden würden. Und zwar eine, „die nicht nur neue Technologien, sondern auch eine neue Art des Wirtschaftens, des Denkens, vielleicht sogar des Fühlens und der Ethik hervorbringt.“ Nun, es wird sich zeigen, was vom Optimismus übrig bleibt. Möge Achtsamkeit weiter gedeihen und kein kurzfristiger Nischen-Hype bleiben. Denn Trends kommen und gehen – schneller denn je. Gewissenhafte Prüfung und Unaufgeregtheit scheinen jedenfalls sinnvoll. Um nicht voreilig in die Unachtsamkeits-Falle zu tappen.  

Hinweis: Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem 2017 erschienenen Buch  Tempo all´arrabbiata

 

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