Gesundheit

Männerschmerzen

16.04.2025

Wann ist ein Mann ein Mann? Nie gab es so viele widersprüchliche Rollen, Klischees und Vorbilder. Und nie so viele Männer, die darunter zusammenbrechen. Doch das kann vermieden werden, wenn man Warnzeichen erkennt und Hilfe annimmt.

Tommy Gospic sieht nicht aus wie einer, der weint. Groß, athletisch, breiter Rücken, durchtrainiert, ein Siegertyp. Dennoch steht er auf der Bühne und weint. Was ist geschehen?
Der heute 44-Jährige war Tennisprofi. Bis Wimbledon schaffte er es, „die Maschine war auf Hochleistung getrimmt“. Seine Rückenschmerzen ignorierte er, bis er zusammenbrach. Nichts ging mehr, übrig blieb nur ein Berg voller Schulden. „Ich hätte meine Eltern um Hilfe bitten können, aber mein Ego ließ das nicht zu. Ich muss für meine Schulden selbst aufkommen.“ Gospic gab Tennisstunden, gründete in der Schweiz eine Tennisschule, arbeitete wie ein Besessener. Er stellte Trainer an, expandierte. Doch statt Zuversicht wuchs nur die Sorge. Was, wenn er wieder scheiterte, „es wieder versenkte“?

Das Erreichte zählte nicht, nur das jeweils nächste Ziel.

Tommy Gospic

Unternehmertum als Spitzensport

Tommy Gospic
Tommy Gospic, ehemaliger Tennisprofi und Unternehmer: „Das Erreichte zählte nicht, nur das jeweils nächste Ziel.“ Copyright: privat

Die Versagensängste wurden allgegenwärtig. Ein weiterer Verein wollte von ihm trainiert werden, er empfand keine Freude – nur quälende Gedanken, noch einen Trainer bezahlen zu müssen. Sein Steuerberater meldete das Knacken der 1-Million-Franken-Umsatzmarke – es berührte es ihn nicht. „Was ich erreicht habe, zählt nicht. Nur das jeweils nächste Ziel. So kannte ich es aus dem Sport.“ Als er das sagt, beginnt er zu weinen.
Diesmal verschenkte er alles. Brach seine Zelte ab und floh buchstäblich. Er hätte nur die Firmenleitung abgeben, nur eines der vielen Hilfsangebote annehmen müssen, „aber richtige Männer stellen sich nicht so an.“ Heute, einige unauffällig als Versicherungsangestellter verbrachte Jahre und einige Therapien später, kann er endlich reden. „Don’t burn out, burn your fucking Ego”, sagt er.

Mit Vollgas gegen die Wand

Dejan Stojanovic
Dejan Stojanovic brachte vor zehn Jahren die „Fuckup Nights“ nach Österreich. Copyright: The Failure Institute

Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er als einsamer Wolf seinen Kummer in sich hineinfrisst? Oder wenn er auf offener Bühne zu seinen Gefühlen steht? Nie waren Rollenbilder so widersprüchlich: vom woken Gutmenschen bis zum Hau-drauf-Rambo ist alles möglich – und alle Schattierungen dazwischen.
Das fällt auch Dejan Stojanovic auf, wenn auch aus ungewöhnlicher Perspektive. Stojanovic brachte vor zehn Jahren die „Fuckup Nights“ nach Österreich. Da stellen sich jeden Monat Menschen auf die Bühne, die ihre Firma gegen die Wand gefahren haben. Sie reden sich von der Seele, was schiefgelaufen ist, damit andere ihre Fehler nicht wiederholen. Stojanovic sorgt für gute Energie und ehrlichen Applaus. Es war seine Bühne, auf der Gospic’s Aufrichtigkeit bejubelt wurde. „Ich habe zwei Themen herausgehört“, analysiert Stojanovic, „nach außen den Druck, gewinnen zu müssen, als Sieger rüberzukommen. Nach innen die Angst, nicht gut genug zu sein, sich zu blamieren.“

Your Ego is not your Amigo

Mit überhöhten Erwartungen ist der frühere Hochleistungssportler Gospic nicht allein. Vier Männergruppen werden besonders leicht von ihrem Ego erdrückt, weiß Stojanovic. Da sind einmal die selbstständigen Unternehmer genauso wie die angestellten Mittelmanager (Top-Manager scheinen bereits entspannter zu sein). Sie sind darauf gedrillt, sich mit ausgefahrenen Ellbogen nach oben zu beißen, die einen im Kampf um Kunden, die anderen gegen Hierarchien. Ihr Ego peitscht sie vorwärts und verzeiht keinen Fehler. Ein schlechter Ratgeber: „Your Ego is not your Amigo“, zitiert Stojanovic.

Toxische Machos richten nicht nur in der Weltpolitik gewaltigen Schaden an.

Dejan Stojanovic

Die zweite Gruppe findet sich in Familienbetrieben, besonders im Kontext mit Generationenübergaben. Den Erben sitzen Erfolgsdruck und Versagensangst im Nacken, personifiziert vom übermächtigen Vater. Der wirkt auch auf die dritte Gruppe ein, die sich in Kulturkreisen mit traditionell patriarchalischem Männerbild findet. Zur Angst, den Erwartungen der Familie nicht zu genügen, kommt hier noch die vor der Schande in der Community.
Die vierte Gruppe feiert eben ihre Renaissance: von den woken Jahren tief verunsicherte Männer, die Maskulinitätsextremen à la Trump, Putin & oder deren testosteronstrotzenden Social-Media-Blaupausen nacheifern. Toxische Machos nennen sie die einen, echte Kerle die anderen. Sie richten nicht nur in der Weltpolitik gewaltigen Schaden an, zerbrechen aber oft an unerreichbaren Ansprüchen.

Auf der Suche nach Lösungen

Claudia Schwinghammer
Wirtschaftspsychologin und Spark-Gründerin Claudia Schwinghammer. Copyright: Andrea Kutilin

Gehen wir in den Lösungsmodus. Die wesentlichen Prägungen entstehen in der Kindheit, sagt Wirtschaftspsychologin und Spark-Gründerin Claudia Schwinghammer. Deshalb hinterfragt sie das Familiensystem, in dem ein hilfesuchender Klient aufwuchs. Dabei bedingt das Suchen von Hilfe bereits erste Einsicht. „Die Themen sind meist: Wer waren meine Vorbilder, welchen Stellenwert hatte Leistung, was erwartet man von mir, welche Rollen muss ich spielen?“ Die Gefahr ist, sich irgendwann mit diesen Glaubenssätzen zu identifizieren. „Dann glaubt man, sie kommen aus einem selbst.“
Manche Betriebe befeuern solche Prägungen: „Wenn extreme Leistungsbereitschaft gefordert, ja vorausgesetzt, aber nicht wertgeschätzt wird. Ich kenne einen Vorstand, der sagt ganz offen, morgens in der Tiefgarage setzt er seine High-Performer-Maske auf und abends nimmt er sie wieder ab. Dazwischen ist er nicht er selbst.“ Seinen Mitarbeitern geht es auch nicht gut. „Ich frage immer nach der Führungsriege. Ob sie divers ist oder ob Silberrücken an der Macht sind.“ Ganz schlimm ist es für jene, die unter einer narzisstischen Persönlichkeit arbeiten. Welche nie selbst den Weg in die Therapie findet, „nur ihre Opfer. Das kann unglaubliche Ausmaße annehmen.“

Die wesentlichen Prägungen entstehen in der Kindheit.

Claudia Schwinghammer

Wirksam wie eine Hautcreme

Auch wenn ein solches (Berufs)Leben weithin akzeptiert ist, macht es auf Dauer kaputt. „In einem Unternehmen hat mir HR gesagt, sie haben noch keinen Bedarf an psychologischer Beratung. Erst, wenn sie ein paar Burnout-Fällen mehr haben.“ Keine Illusion: Wer je in eine Erschöpfungsdepression kippte, ist nie wieder so leistungsfähig wie zuvor.
Die gute Nachricht: War Psychotherapie früher fast ausschließlich Frauensache, hat Schwinghammer heute bereits 70 Prozent männlicher Klienten. Allerdings: „Der Leidensdruck muss schon sehr groß sein.“ Und das Hilfsangebot „sehr cool: Männer mögen keine Prozesse, die sich lange hinziehen. Sie wollen klare Worte ohne Konjunktiv und eine Therapie, die schnell und effizient wirkt. Sie müssen sofort eine Veränderung bemerken. Denselben Anspruch stellen sie auch an ihre Hautcreme.“

Warnsignale erkennen

Wer helfen will, muss genau hinhören. Hinter Rückenschmerzen, Verspannungen, Schlafproblemen oder scheinbar harmlosen Ticks wie etwa Flugangst verbergen sich oft waschechte Angststörungen. Verdächtig sind auch Substanz- und Suchtthemen, von Alkohol bis harten Drogen. „Ein Klient hat gesagt, nur wenn er ein Bier trinkt, spürt er sich. Ein anderer sagt, nur dann spürt er den Schmerz eben nicht.“ Kurzfristig, meint Schwinghammer, scheint das eine Lösung zu sein, „langfristig geht es sich nicht aus.“
Auch der frühere Tennisprofi Gospic hat gelernt, die Signale zu lesen. Heute wird er hellhörig, wenn einst Lebensfrohe plötzlich still und in sich gekehrt sind. Dann, meint er, „soll man sich mit ihnen und einer Flasche Wein einsperren und erst aufstehen, wenn sie geredet haben – und dann dranbleiben.“ Er weiß, wovon er spricht: „Ein Freund hat mir damit das Leben gerettet.“ Was man hingegen keinesfalls tun soll: „Jemandem raten, er soll doch auf Urlaub gehen. Er nimmt seine Sorgen in den Urlaub mit.“

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