Interview

Fachkräftemangel? Selber schuld!

06.03.2025

Der Autor und Coach Christian Conrad lässt mit einer provokanten These aufhorchen: Unternehmen sollten beim Fachkräfteproblem die Ursachen bei sich selbst suchen. Im Interview legt er die Gründe dar - und er macht Vorschläge, die betroffene Betriebe sofort umsetzen können.

Die Wirtschaft leidet unter Fachkräftemangel – so sehr, dass es in manchen Branchen zu Umsatzeinbußen und sogar Betriebsschließungen kommt. Der Unternehmensberater Christian Conrad vermisst bei den meisten Firmen das hinterfragen der internen Ursachen. Seine These: Eine fehlende Wertschätzung, mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten und eine wenig inspirierende Führungskultur führen dazu, dass Mitarbeiter sich nicht ausreichend verbunden fühlen. Statt ausschließlich auf finanzielle Anreize zu setzen, sollten Unternehmen in offene Kommunikation, echtes Empowerment und ein respektvolles Arbeitsklima investieren. Wir haben mit ihm das folgende Gespräch geführt.

Die Wirtschaft: Herr Conrad, Sie sagen, dass der Fachkräftemangel in Wahrheit hausgemacht ist. Welche typischen internen Ursachen sehen Sie in Unternehmen, die dieses Problem verschärfen?
Der größte Engpass ist gute Führung. Wenn Führungskräfte weder gelernt haben sich selbst zu führen noch andere, dann wird es ihnen nicht gelingen, Menschen dazu zu bewegen, ihnen zu folgen. Eine gute Führung erkennt, dass es letztlich nur zwei Aufgaben einer Führungskraft gibt, a) sich selbst führen (und somit mit gutem Beispiel voran zu gehen) und b) anderen helfen, sich selbst zu führen (und sie damit zu entwickeln und sich selbst letztlich obsolet zu machen).
Die Gestaltung des „Produkts Arbeitsplatz“, dessen Kunden und Kundinnen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, beschränkt sich nicht auf den Einkauf höhenverstellbarer Schreibtische – eine super Errungenschaft, übrigens – oder das Stellen von Obstkörben oder E-Bikes. Vielmehr geht es im Kern darum, die Dinge zu tun, die diese Kunden nicht nur zufrieden machen, sondern begeistern. Und da sprechen wir von psychologischen Bedürfnissen, die mit Geld und Materiellem nur zu einem gewissen Grad zu erfüllen sind.
Die Arbeit muss Freude machen – sonst geben Mitarbeiter nicht ihr Bestes. Es muss Energie freisetzen, sonst darf man sich nicht wundern, dass die Produktivität hinter den Erwartungen bleibt.

Führen Sie mit Liebe und nicht mit Angst. Sie werden Produktivitätssteigerungen sehen, die sie sich nicht hätten träumen lassen.

Christian Conrad

Viele KMU in Österreich haben begrenzte Ressourcen. Welche konkreten, praxisnahen Maßnahmen können sie ergreifen, um eine attraktivere Unternehmenskultur zu schaffen?
Stellen Sie sich tatsächlich vor, die Mitarbeiter seien Kunden. Und als Kunden Könige. Und sprechen Sie mit ihnen, was sie brauchen, was sie sich wünschen. Dann wird ganz weit oben kommen: Wertschätzung. Und die kostet nicht, aber sie bringt (ökonomisch) enorm viel. Wertschöpfung durch Wertschätzung. Wer sich wertgeschätzt, gesehen fühlt, ist loyaler, geht eher die vielzitierte Extrameile und wird seinen Arbeitgeber eher Freunden und Bekannten weiterempfehlen.
Die zweite Maßnahme kostet ebenso wenig: Hören Sie Ihren Mitarbeitern zu – und zwar ohne zu werten, ohne Lösungen in Petto zu haben. Einfach nur mit dem Ziel, dass die Beziehung und Verbundenheit gestärkt wird. Der Lohn: ein höheres Vertrauen und weniger Missverständnisse. Was beides wiederum ein absoluter Produktivitätstreiber sein wird. Betriebswirtschaftlich messbar.

Ihr „Engagement Booster“-Programm verspricht, die emotionale Verbundenheit von Mitarbeitenden zu steigern. Wie funktioniert das genau, und welche Erfolge konnten Unternehmen damit erzielen?
Wir tun drei Dinge. Erstens: Wir messen die emotionale Verbundenheit über eine ganz einfache Mitarbeiter-Zufriedenheits-Befragung. Zweitens: Wir setzen auf drei ganz einfache Gewohnheiten, die im Unternehmen etabliert werden, und drittens: wir machen es wie beim Sport: wir bleiben dran, denn diese Transformation ist ein Prozess.
Ein mittelständisches Unternehmen konnte seinen „Engagement-Level“ innerhalb von 18 Monaten von – in Schulnoten eine 3- auf eine 2+ erhöhen, was sich in mehr und besseren Bewerbern und einer erhöhten Produktivität gemessen in Umsatz/Gewinn pro Mitarbeiter niederschlägt.

In vielen Unternehmen wird noch stark auf finanzielle Anreize gesetzt. Warum reicht das Ihrer Meinung nach nicht aus, um Fachkräfte langfristig zu binden?
Geld ist wichtig – die Bezahlung ist sozusagen die Basis. Stimmt an der Stelle etwas nicht, kann auch alles andere dieses Defizit nicht füllen. Die meisten Unternehmen, die ich kenne, zahlen aber fair, haben ein sinnvolles und zufriedenstellendes Vergütungssystem. Die Forschung zeigt, dass ab einem gewissen Niveau zusätzliches Geld nicht zu Mehrleistung und nachhaltig auch nicht zu mehr emotionaler Verbundenheit führt. Vielmehr sind es andere psychologische Grundbedürfnisse, an denen Unternehmen viel besser ansetzen können, um Menschen langfristig an sich zu binden. Zum Beispiel eine starke Teamorientierung in der Struktur. Ein hohes Maß an Eigenverantwortung ermöglichen. Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Eine Umgebung schaffen, in der sich Menschen wohlfühlen. Das ist sowohl die Büroumgebung als auch eine gewisse Flexibilität, die es den Mitarbeitern erlaubt, Privat- und Berufsleben gut miteinander in Einklang zu bringen. Eine starke Sinn-Komponente gehört sicherlich auch dazu.

Was sind die größten Fehler, die Unternehmen im Umgang mit dem Fachkräftemangel machen – und wie lassen sich diese vermeiden?

45 Prozent der Menschen, die kündigen, kündigen aufgrund mangelnder Wertschätzung durch die Vorgesetzten. Hier liegt meines Erachtens das größte Defizit. Es zu beheben, kostet nichts. Es bedarf „nur“ einer Veränderung im Kopf.  Streichen Sie den Glaubenssatz „Nicht geschimpft ist genug gelobt“. Lernen Sie den Menschen als Menschen zu sehen, mit Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen. Ein leicht zu erfüllender ist der nach Wertschätzung.
Ein anderer Fehler ist der, dass Unternehmen sich selbst gegenüber nicht ehrlich sind. Sie sehen nicht die wahren Kosten, die zum Problem Fachkräftemangel führen. Rechnen Sie mal die wahren Kosten von Fluktuation, Krankenstand und – wie ich es nenne – „Nicht Umsatz“ aus. Addieren Sie dazu Rekrutierungskosten. Die Kosten von Wissens- und Erfahrungsverlust. Und die enormen entgangenen Gewinne durch die zusätzliche Produktivität, die sie sich auf individueller und Team-Ebene durch die Lappen gehen lassen, weil sie sich mit zufriedenen Arbeitnehmern zufriedengeben anstatt sie zu begeisterten Arbeitnehmern zu machen. Für ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern liegt die Summe dieser Opportunitätskosten im signifikant siebenstelligen Bereich. Pro Jahr.
Wie vermeiden Sie diesen Fehler? Indem sie genau hinschauen und diese Kosten für sich bewerten und dann Investitionsentscheidungen treffen, um diese Missstände zu beheben. Eine niedrige sechsstellige Investition in Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen wird ausreichen, um das siebenstellige Potenzial zu heben.

Ihre Vision ist „eine Million mehr lächelnde Menschen am Arbeitsplatz“. Was ist Ihr wichtigster Rat an Führungskräfte, um dieses Ziel Realität werden zu lassen?

Führen Sie mit Liebe und nicht mit Angst. Sie werden Produktivitätssteigerungen sehen, die sie sich nicht hätten träumen lassen, wenn Sie an der Stelle konsequent sind. Und ich spreche nicht von einer Kuschelkultur, sondern davon, eine menschliche Hoch-Leistungskultur zu entwickeln. In der Menschen sich entfalten können und zu „Promotoren“ werden, die ihren Arbeitgeber Freunden und Bekannten weiterempfehlen. Diese Mitarbeiter sind die „lächelnden Menschen“.

Welche ersten Schritte empfehlen Sie einem KMU, das seine Unternehmenskultur in Richtung einer „magnetischen“ Kultur entwickeln möchte, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Führen Sie drei Gewohnheiten in Ihrem Unternehmen ein:

  1. Verbindendes Zuhören. Zuhören mit dem Ziel, dass die Verbindung zum Gegenüber gestärkt wird. Das kann man lernen, die Wirkung ist enorm. Wenn alle Führungskräfte sich fünf Mal am Tag in eine solche Haltung des Zuhörens begeben (und das ist ohne zeitlichen Zusatzaufwand möglich), dann wird allein diese Gewohnheit schon das Fachkräfteproblem lösen.
  2. Positive Bestärkung. Erwischen Sie Menschen dabei, wie sie Dinge richtig machen. Wenn jede Führungskraft das drei Mal pro Tag tut – einfach Augen auf, wo läuft was gut, benennen, sich dafür bedanken – dann wird auch diese Gewohnheit schon ganz allein zu einer veränderten Atmosphäre und einem anderen und positiveren Umgang miteinander und definitiv in einer erhöhten Energie in der Organisation führen. Damit werden Sie zum (hoch)attraktiven Arbeitgeber.
  3. Gehen Sie ein-zwei Mal pro Woche zu einer Person in der Organisation, mit der sie nicht tagtäglich zusammenarbeiten, und bitten Sie sie, Ihnen zwei Tipps zu einem Thema zu geben, in dem Sie besser werden wollen. Egal was es ist. Sie werden sehen – Sie bekommen hervorragende Tipps und die neuen Verbindungen, die so geschaffen werden, lösen Schnittstellenprobleme und etablieren das Exzellenzstreben in der Organisation. Was Sie wiederum als Arbeitgeber attraktiver macht.

Zur Person

Christian Conrad © Norman Boesche
Christian Conrad © Norman Boesche

Christian Conrad, Autor des Praxisbuchs „Magnetische Unternehmenskultur“, Trainer und Coach bringt über 25 Jahre Führungserfahrung und tiefes Know-how in nachhaltiger Unternehmensentwicklung mit. Als „Change Catalyst“ unterstützt er wachsende mittelständische Unternehmen dabei, das Problem „Fachkräftemangel“ für sich zu lösen. Seine Vision: 1 Million mehr lächelnde Menschen am Arbeitsplatz. Seine Leidenschaft für authentische Kommunikation und empathische Führung macht ihn zum gefragten Berater für CEOs, Unternehmer und Top-Führungskräfte. Mit seinem e

inzigartigen Programm „Engagement Booster“, das die emotionale Verbundenheit der Mitarbeiter zum eigenen Unternehmen verstärkt und messbar macht, setzt er neue Maßstäbe in der Förderung von Arbeitgeberattraktivität und Produktivität in Unternehmen.

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