Krisenintervention

Starr vor Schreck

06.03.2025

Schicksalsschläge können auch Unternehmen treffen. Verunglückt oder verstirbt eine Mitarbeiter*in unter tragischen Umständen, versinken die Kolleg*innen oft in Trauer und Schock. Führungskräfte stehen dann vor einer ganz besonderen Herausforderung – für die es Hilfe gibt.

Der junge Vertriebsleiter galt als Riesentalent. Grundsympathisch, auf dem Sprung nach ganz oben, Bilderbuchfamilie, eng mit einigen Kollegen befreundet. Montagmorgen hieß es, er habe sich am Sonntag das Leben genommen. Niemand wusste warum, niemand wusste wie. Wilde Gerüchte rankten sich durch die Firma. Drei Tage stand der Betrieb still, niemand dachte ans Arbeiten. Schließlich raffte sich der schwer geschockte Chef zu einem Statement auf, erklärte holprig, was man bislang herausgefunden hatte, und rief zu einer Schweigeminute auf. Danach ging es besser.

Schlimme Dinge passieren

Holt mit seine Teams Unternehmen aus der Schockstarre: Unternehmensberater Wilhelm Hofmann ©Kneidinger-Photography
Holt mit seine Teams Unternehmen aus der Schockstarre: Unternehmensberater Wilhelm Hofmann ©Kneidinger-Photography

Sie kommen als persönliche Tragödie, als Arbeitsunfall oder als plötzlicher Herztod, nach langer Krankheit oder aus heiterem Himmel. Die unmittelbare Familie bekommt oft professionelle Krisenhilfe von verschiedenen Blaulichtorganisationen angeboten. „Kollegen und Mitarbeiter müssen ganz allein mit dem Schock fertig werden“, beschreibt Wilhelm Hofmann, der dazu einen vielbeachteten Vortrag am Forum Personal Linz hielt. Die Ausfälle kosten die Firma Zeit und letztlich auch Produktions- und Umsatzleistung. Diese auch wirtschaftlich relevante Lücke schließt Hofmann mit einer neuen Dienstleistung. Auf Anruf kommen er und seine krisengeeichten Berater ins Unternehmen und holen die Teams aus ihrer Schockstarre.

 

„Wir kommen nach einem akuten Unglücksfall. Wenn der Stapler umgekippt ist und den Fahrer unter sich begraben hat.“

Ernst Zemsauer, Unternehmensberater

Therapie vs. Intervention

Dabei gibt es eine wichtige Abgrenzung. Hofmanns Team leisten zeitnahe und nachhaltige Intervention mit klarem Ein- und Ausstieg. „Zum Unterschied zur Intervention sind Therapien auf dauerhafte Begleitung angelegt“, beschreibt Ernst Zemsauer, Unternehmensberater, langjähriger Mitarbeiter beim Roten Kreuz und Mitglied in Hofmanns Krisenteam. „Wer starr vor Schreck ist, braucht nur selten langfristige Begleitung. Man braucht jemanden, der zeitnah hilft, das Geschehene einzuordnen und gut zu verarbeiten.“

Ernst Zemsauer, Unternehmensberater © privat
Ernst Zemsauer, Unternehmensberater © privat

Zemsauer illustriert das an einem Beispiel. Dirigiert ihn die Leitzentrale des Roten Kreuzes zu einem Unfall, springt er ohne Vorbereitung in die Bresche. Akutinterventionen folgen dem BELLA-Prinzip: Beziehung aufbauen, Erfassen der Situation, Linderung der schwersten Symptome, (andere) Leute unterstützend einbeziehen, Ansatz einer Problembewältigung schaffen. Das Wichtigste: menschliche Nähe und Wärme geben.

Interventionen im Unternehmen laufen anders ab. Zemsauer und seine Kollegen holen erst alle Informationen ein. Sie führen ausführliche Gespräche mit der Unternehmensleitung über Betroffene, Hintergründe, Unternehmenskultur und Organisationsform. Manchmal stellt sich heraus, dass die Aufgabe falsch bei ihnen angesiedelt ist. „Mobbing, Burnout und schwelende Arbeitskonflikte sind nicht unser Fall. Die gehören zum Arbeitspsychologen“, grenzt Zemsauer ab. „Wir kommen nach einem akuten Unglücksfall. Wenn der Stapler umgekippt ist und den Fahrer unter sich begraben hat.“

Was täte euch jetzt gut?

Allzu tief lässt Zemsauer nicht in seinen Werkzeugkoffer blicken. Nach ausführlicher Information seitens der Geschäftsleitung plane man Einzel- oder Teamgespräche, kann man ihm entlocken. „Es macht einen Unterschied, ob jemand das Unfallopfer gefunden und eine halbe Stunde reanimiert hat oder ob er über den Flurfunk vom Todesfall gehört hat.“ Grundsätzlich komme man zu zweit, am liebsten im gemischten Frau-Mann-Settings. „Frauen treffen die Gefühle besser.“ Das Team räumt erst einmal Gerüchte aus der Welt und sorgt für einen einheitlichen Wissensstand. Manche Kollegen quälen Betroffenheit und Schuldgefühle („Hätte ich gewusst, dass er vor einem Herzinfarkt steht, hätte ich nicht mit ihm gestritten!“) „Niemand hat an einer Herzattacke schuld. Solche Selbstvorwürfe normalisieren wir.“ Besonders wichtig bei Suizid: „Wir machen den Leuten klar, dass sie es nicht verhindern hätten können. Es war die freie Entscheidung des Verstorbenen.“ Dasselbe mit Schuldzuweisungen („So weit hat ihn die Firma getrieben…“). Auch hier: besprechen, einordnen, normalisieren.

Zentrales Merkmal jedes Schocks ist das Abgeschnittensein von den sonst zugänglichen Problemlösungsmechanismen. Die Kreativität ist futsch, die Betroffenen finden nicht aus ihren Gedankenspiralen. Manche werden aggressiv (Zemsauer: „Das müssen wir aushalten“), andere paralysiert, viele weinen, manche ziehen sich zurück. „Das respektieren wir auf jeden Fall. Dann sagen wir, wir sind im Nebenzimmer, komm zu uns, wenn du soweit bist.“

Vor allem benötigen die Kollegen die Sicherheit, nicht mit ihrem Schock allein gelassen zu sein. Sie bekommen Hilfe zur Selbsthilfe. „Wir fragen: Was täte euch jetzt gut?“ Oft ganz einfache Dinge: ein Bild vom Verstorbenen aufhängen, eine Kerze anzünden, eine kleine Gedenkstätte einrichten, eine Trauerrede, ein Abschiedsfest. Die Kollegen des Staplerfahrers bastelten ein Minimodell seines Staplers und tauften es „Karl“, nach dem verstorbenen Kollegen. Auf den Unglücksstapler wollte sich trotzdem keiner mehr setzen. Erst Zemsauer als Firmenexternen gelang es, den Chef zu überzeugen, einen neuen Stapler anzuschaffen. „Erst wollte er nicht, der alte Stapler war ja noch gut. Aber für die Firmenkultur war es wichtig.“ Bei aller Trauer geben die Interventionen der Unternehmenskultur einen positiven Schub: Gemeinsam Durchlittenes schweißt zusammen.

Mustafa und Pater Bonifaz

Im ländlichen Bereich ist oft der Ortspfarrer die erste Anlaufstelle. „Erst kürzlich hat mir der CEO eines namhaften Unternehmens gesagt, für solche Fälle hat er eine Betriebsseelsorge“, erzählt Zemsauer. In seiner Firma aber arbeiten viele Nationalitäten. „Was soll Mustafa mit dem römisch-katholischen Pater Bonifaz anfangen?“, bringt es Zemsauer auf den Punkt. Seine Interventionen greifen kulturunabhängig.

Zum Unterschied zu karitativen oder kirchlichen Organisationen arbeiten die Krisenmanager aber nicht zum Gotteslohn. Geschäftsführer Hofmann hinterlegt seine Dienstleistung mit einem Abomodell, einer überschaubaren Bereitstellungsgebühr und einem Stundensatz für den Ernstfall. „Dafür garantieren wir, innerhalb von drei Tagen Vorort zu sein. Auch am 24. Dezember.“ Üblicherweise stabilisieren sie die Belegschaft schon nach wenigen Stunden, höchstens Tagen. Dann erhält der Unternehmer die Verantwortung für seine Leute zurück. „Unsere Interventin endet mit einem klaren Ausstieg.“ Der Auftraggeber bekommt gespiegelt, was die Berater wahrgenommen haben, von Tipps für eine bessere Firmenkultur bis zur Sorge wegen Suizidgedanken einzelner Mitarbeiter („Wenn der Karl nicht mehr lebt, will ich auch nicht mehr.“) Das fällt unter die Fürsorgepflicht des Unternehmers. „Wir ziehen uns zurück und grenzen uns von diesem Fall ab, um Kraft für den nächsten zu sammeln.“

Was nicht immer leicht ist. Der unverständliche Selbstmord des jungen Verkaufsleiters ging allen tief unter die Haut. Er hatte seine psychischen Probleme akribisch versteckt, wie sich später herausstellte. Niemand hätte seine Tat verhindern können.

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