Zur Freiheit verdammt?

Mag. Dr. Franz J. Schweifer
07.05.2015

„Ich will: Freiheit!“ Ein flehender Appell eines Langzeitarrestanten? Eine rebellische Forderung Pubertierender? Die lautstarke Losung politisch Querdenkender? Nein. Mitnichten. So lautet lediglich der vergleichsweise harmlose Slogan eines aktuellen Werbespots eines Telekom-Anbieters. Aber so vordergründig harmlos und plausibel die Botschaft auch daherkommen mag, so hat sie doch höchst widersprüchliche Gesichter. Denn Freiheit lässt sich nicht einfach nur „wollen“. Sie fordert auch Antworten und Verantwortung. Ja Tribut. Weil wir sie sonst verspielen.

Im erwähnten Spot promotet eine sehr junge, sehr smarte Smartphone-Userin mit Verve und Vehemenz ein lässiges Lebensgefühl, unterfüttert vom flockigen „Wie-Ich-Will-Prinzip“. Es suggeriert eine neue, grenzenlose Freiheit, die sich quasi spielerische via App bestellen lässt. Eine, die „ohne Sim-Lock“ beginnt und zum beglückenden „Ich will machen können, was ich will.“ – jedenfalls mit dem Handy – verhilft. Nun gut, Werbung ist dazu da, um Dinge spielerisch zu überhöhen und Illusionen auf´s TV-Sofa oder Tablet zu zaubern. Eine triviale Schein-Parallelwelt mit Ablaufdatum.
Aber die reale Welt der Freiheit funktioniert nun doch nicht ganz so trivial. Wie meinte schon weiland Goethe: „Niemand ist hoffnungsloser versklavt als der, der fälschlicherweise glaubt, frei zu sein.“ Und der Existenzialist Jean Paul Sartre setzte später eines drauf mit seinem irritierenden Satz: „Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein.“ Wir Menschen seien also gewissermaßen zur Freiheit verdammt. Frei und verdammt zugleich? Wie passt das zusammen? Was heißt das für uns heute?

Frei, aber…
Nach Sartre sind wir durch den Zufall unserer Geburt in die Existenz „hineingeworfen“ und müssen aktiv versuchen, dem Leben einen Sinn zu geben. Als Menschen dürfen, ja müssen wir über uns selbst bestimmen – ohne Zwänge durch gesellschaftliche oder gar göttliche Anweisungen. Einerseits haben wir dadurch die Freiheit, uns selbst zu entwerfen und eigene Wertvorstellungen, Normen und Orientierungen zu kreieren. Andererseits aber lässt sich die Verantwortung für unser (Nicht-)Tun nicht auf etwas außerhalb von uns abschieben, auch nicht auf eine höhere, transzendente Gewalt. Wir sind damit auf uns selbst zurückgeworfen. Wir sind es, die Antwort geben müssen. Nicht „Gott & die Welt“. Freiheit und Verantwortung sind demnach ein dialektisches Paar. Eine Menge Widersprüche und Fragezeichen inklusive.

Verurteilt
„Verurteilung“ klingt hart und nach Guillotine. Muss es aber nicht zwangsläufig sein. Nennen wir es individuelle Chance – weil mit Freiheit auch die Möglichkeit einhergeht, eine (Aus-)Wahl zu treffen. Für diese Wahl tragen wir als Entscheider aber auch Verantwortung und Konsequenzen. Denn Entscheidungen können und müssen auch von anderen freien Individuen bewertet werden. Wer also viel und billiges Fleisch ist, muss damit rechnen, dass Massentierhaltung explodiert. Wer viel und billig Kleidung aus Kinderarbeit kauft, der riskiert, dass der Textilmarkt implodiert. Wer sich die Freiheit nimmt, Produkte eines globalen Nahrungsmittelkonzerns zu kaufen (der etwa in Indien Tausenden Underdogs das Grundwasser abgräbt) oder Bücher nur mehr online ordert, salutiert vor der Hybris des Billiger – Bequemer – Schneller. Und wenn wir versuchen, immer mehr der üppigen Handlungsoptionen im endlichen Alltag unterzubringen, landen wir als Erschöpfte unserer Möglichkeiten auf der Burnout-Insel der Unseligen. Kurzum: Egal, welche Freiheit(en) wir uns nehmen, wir müssen immer mit Widerspruch rechnen. Und wir sind gleichzeitig zutiefst in unserem Menschsein gefordert.

Digitale (Un-)Freiheit
Um die Widersprüchlichkeit alltagstauglich abzubilden: Die wuchernde Internetlandschaft ist dafür bekannt, in immer kürzeren Abständen eine neue Sau durchs digitale Dorf zu treiben. Windows XP war vorvorgestern, Internet 2.0 ist dran. Industrie 4.0 heißt die neue Revolution. Längst wird die Durchnummerierung von Zukunftstrends auch auf die gesamte Arbeitswelt angewandt. Unter Industrie 4.0 wird die beginnende vierte industrielle Revolution – nach Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung – verstanden. Sie bedeutet einen radikalen Paradigmenwechsel und wird die bisherigen Arbeitsstrukturen und Arbeitsbedingungen in Unternehmen nachhaltig verändern. Abgesehen von technischen Herausforderungen werden die Folgen für die Arbeitsorganisation, Unternehmenskultur sowie die individuelle Lebenskonzeption massiv unterschätzt.
Bis spätestens 2025 sollen wir in der Arbeitswelt 4.0 angekommen sein, so die Prognosen. Personen, Organisationen und alle elektronische Arbeitsprothesen werden dann umfassend vernetzt sein. „Schon frohlocken die Verfechter einer Work-Life-Balance: Arbeit und Freizeit werden endlich eins. Arbeit wird endlich flexibel. Alles gut.“ (David Wolf, Redakteur business-wissen.de)

Verdammte Schattenseiten
Doch das Ganze habe auch Schattenseiten, so Wolf. Denn flexible Arbeit verlange auch höchst flexible Mitarbeiter: immer online, immer im Dienst. Denn wer sein Smartphone privat und geschäftlich nutzt, liest und beantwortet auch zeitflexibel alle Nachrichten – auch die der Vorgesetzten. Spätestens dann wandert das quasi urzeitliche „9-to-5“-Modell ins Museum. Denn die 4.0-er arbeiten flexibler. „Freier“. Länger. Jedenfalls „always on“. Aber die neue flexible Freiheit könnte sich in Wahrheit als Unfreiheit erweisen, wenn „flexibel“ mit (beliebig) „dehnbar“ verwechselt wird: „Teuer erkauft durch Stress 4.0. Schöne neue Arbeitswelt.“ (D. Wolf)
Eine Arbeitswelt mit direktem Sprungbrett zur Karriereleiter für Masochisten – dem Hamsterrad? Verspielen wir die Freiheit und die spielerische Lust an ihr, wenn wir sie uns überall und jederzeit nehmen? Weil wir es so wollen? Grenzenlos flexibel? Immer Freiheit = nimmer Freiheit? Neue Freiheit 0.0?

Ich will: Grenzen!
Dem eingangs erwähnten Ruf nach „Ich will: Freiheit!“ ließe sich plausiblerweise mit ebensolcher Verve und Vehemenz ein „Ich will: Grenzen!“ entgegensetzen. Plausibel deshalb, weil vollends entgrenzte Freiheit an ihrer eigenen Üppigkeit und Grenzenlosigkeit zu ersticken droht. Vergleichbar mit einem überladenen Gratis-Buffet, von dem wir – weil´s nix kostet – kosten und kosten und kosten. Bis zur Übelkeit. Zurück bleibt nicht Euphorie, sondern enttäuschte Erfüllungsdepression. Weil wir uns von der vermeintlichen, üppigen Freiheit haben täuschen lassen. Wir sind enttäuscht. Und bemerken: Enttäuschung ist das Ende einer Täuschung.
Es mag hoffnungslos „ungeil“ klingen, aber Freiheiten werden und bleiben durch bewusste Grenzziehung attraktiv. Oder in Anlehnung an den Philosophen Konrad Liessmann: Freiheit heißt, die meisten Möglichkeiten nicht zu wählen. Sondern selektiv auszuwählen, zu entrümpeln. Pioniere eines entrümpelten Lebens waren vor allem Philosophen (wie Stoiker und Kyniker). Wir müssen ja keineswegs so weit gehen wie der radikale Kyniker Diogenes, der zur Veranschaulichung seiner Bedürfnislosigkeit in einem Fass lebte. Es genügt, sich die Zeit-Freiheit für einen bemerkenswerten Satz des Philosophen und ehemaligen Werftarbeiters Eric Hoffer (1902 – 1983) zu nehmen und daraus für sich kleine, alltagswirksame Schlüsse zu ziehen. Und sei es, zeitweise den Ausknopf zu drücken. Auch am Smartphone.
„You can never get enough of what you don´t need to make you happy.“

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