Getzner Werkstoffe: Nur Good Vibrations
Das Vorarlberger Unternehmen Getzner Werkstoffe ist als Experte im Schwingungs- und Erschütterungsschutz weltweit gefragt. Zum Wettbewerbsvorteil gehört vor allem der Fokus auf die eigene Forschung.


Was haben die Staatsoper in Russland, der Eiffelturm in Paris und der höchstgelegene Pool von Abu Dhabi gemeinsam? Auf den ersten Blick wohl nur, das es sich dabei um außergewöhnliche Bauwerke handelt. Die jedoch – und das ist die Gemeinsamkeit – alle auf der Referenzliste der Getzner Werkstoffe aufscheinen. Das Familienunternehmen aus der 3300-Einwohner-Gemeinde Bürs in Vorarlberg hat es in den vergangenen 50 Jahren geschafft, zum weltweit führenden Unternehmen im Schwingungs- und Erschütterungsschutz zu wachsen. Dabei sind die aufgezählten Bauwerke aber nicht repräsentativ für jenen Bereich, der den Vorarlbergern den meisten Umsatz bringt. Denn bis zu 60 Prozent des Jahresumsatzes von 114,1 Mio. Euro kommen aus dem Geschäft mit der Bahn, die durch den Schwingungsschutz ruhiger fährt, wodurch der Lebenszyklus von Schienen, Schwellen oder Schotter verlängert wird. Und das von einem Unternehmen, das seine Wurzeln eigentlich im Textilgeschäft hat.
Entsetzt vom „Schütteltrauma“
Als Tochtergesellschaft von Getzner, Mutter & Cie. war sie in ihren Anfangstagen noch für die Produktion von Kunstleder verantwortlich und ergänzte das Textilgeschäft der Holding. Als der damalige Geschäftsführer einmal mit der U-Bahn in Deutschland gefahren ist, war er entsetzt von dem „Schütteltrauma“, das man als Passagier bekommt, und war überzeugt, dass man diese Situation verbessern kann. Gleichzeitig experimentierte Getzner zu dieser Zeit auch mit Polyurethan-Schäumen. Daraus entstand ein Werkstoff, der den endgültigen Umstieg auf die Entwicklung von Schwingungsschutzlösungen besiegelt hat.
93 Prozent Exportquote
Heute ist Getzner mit einer Exportquote von 93 Prozent weltweit erfolgreich. „Wir könnten uns auch auf Europa konzentrieren, aber das ist nicht meine Philosophie“, erklärt Jürgen Rainalter, der seit 2009 als Geschäftsführer von Getzner agiert. Ihm ist es wichtig, in den jeweiligen Ländern als Unternehmen selbst vor Ort zu sein, um auch intensivere Beziehungen zu den Kunden aufbauen zu können. Mittlerweile hat Getzner Standorte in Japan, Indien, China, USA oder auch Frankreich. Das ist auch ein Mitgrund, warum das Unternehmen derzeit nur wenige negative Auswirkungen der Corona-Krise spürt. „Die Länder haben nicht alle gleichzeitig zugemacht, daher können wir international weiterhin liefern“, so Rainalter.
Der zweite Grund liegt in der Langfristigkeit der Projekte, die Getzner umsetzt. „Allein der Aufbau eines neuen Marktes dauert zehn Jahre, da Bahngesellschaften meist sehr zurückhaltend bei Innovationen sind“, meint der Geschäftsführer. Hat man aber einmal seinen Fuß in der Tür, so ist auch eine Geschäftsbeziehung über 40 Jahre möglich. So lange dauert es laut Rainalter nämlich, bis ein neues Produkt im gesamten Bahnnetz eingebaut wird. „Daher haben wir auch fast keine Rückgänge bei unseren Aufträgen, lediglich das Kleingeschäft ist rückläufig“, meint Rainalter. So erhielt Getzner erst den Zuschlag für die zweite Bauphase für den Schwingungsschutz auf der Bahnstrecke von Sivas nach Ankara in der Türkei. Durch den Bau dieser Hochgeschwindigkeitsstrecke wird sich die Dauer der Fahrt von bislang zwölf Stunden auf zwei reduzieren.
Tiefe Bindung zum Kunden
Im langjährigen Marktaufbau steckt auch noch ein weiterer Vorteil. „Das ist die tiefe Bindung, die in dieser Zeit mit den Leuten vor Ort entsteht“, sagt der Geschäftsführer. Denn im Vergleich zu den Mitbewerbern liefert Getzner nicht nur das Produkt, sondern das gesamte Know-how inklusive Beratung und eigener Produktentwicklung. Der Nachteil dabei: Da die Bahngesellschaften laut gesetzlicher Regelung nicht alles nur von einem Lieferanten beziehen dürfen, profitieren Konkurrenten von der langjährigen Aufbauarbeit des Vorarlberger Unternehmens. „Aber wir kämpfen um jeden Kunden“, so Rainalter.
Alles für die Forschung
Was Getzner einigen seiner Mitbewerber voraus hat, ist der massive Fokus auf eigene Forschung. „Wir entwickeln fast alles zu hundert Prozent in Vorarlberg und kaufen nur die Rohstoffe zu. Dafür holen wir uns auch Studierende direkt von den Unis Innsbruck, Graz oder auch Berlin und bilden Chemiker und Physiker bei uns aus“, sagt Rainalter. Dass diese Investitionen in die Weiterentwicklung der eigenen Produkte erfolgreich sind, zeigt unter anderem deren Langlebigkeit. Ein Beispiel: Um die Kinos der Grandberry Mall in Tokio vor störenden Geräuschen und Vibrationen zu schützen, wurden im Jahr 2005 elastische Punktlager von Getzner installiert. Langzeitmessungen haben nun gezeigt, dass der Schwingungsschutz selbst nach 15 Jahren noch nahezu unverändert funktioniert. Ebenso erfolgreich sind die Innovationen: So hat das Unternehmen mit der Produktreihe g-fit einen effektiven Schutz gegen Lärm und Vibrationen für Fitness-Studios auf den Markt gebracht. Unter anderem kommt der Schwingungsschutz bereits in einem CrossFit-Studio in Zürich zum Einsatz.
Ein Japaner fehlt
Apropos Mitarbeiter: Für Getzner ist es nicht einfach, diese nach Vorarlberg zu locken. „Der Zufluss aus Deutschland hat stark abgenommen, und wir tun uns schwer, neue Mitarbeiter zu finden“, sagt Rainalter. Und das, obwohl das Unternehmen weltweit rekrutiert. „Aus jedem Land, in dem wir tätig sind, haben wir zumindest einen Mitarbeiter bei uns in den Büros. Nur ein Japaner fehlt uns im Moment“, so der Geschäftsführer, für den sein Team den wesentlichen Unterschied zu seinen Mitbewerbern ausmacht: „Wir haben sehr gute Leute und denken als Familienunternehmen langfristig, über mehrere Jahre. Da spielt ein Quartal keine Rolle. Daher engagieren sich unsere Mitarbeiter auch besonders und ziehen voll mit“.
Text: Markus Mittermüller