Am Kunden vorbei digitalisiert?

Stephan Strzyzowski
10.10.2018

Wie gehen Österreichs Weltmarktführer die Digitalisierung an? Was machen sie anders als klassische mittelständische Unternehmen? Und welche Rolle spielen ihre Kunden? Wir haben die Ergebnisse einer Umfrage, die wir gemeinsam mit Thomas Haller und Othmar Schwarz von Simon- Kucher & Partners erstellt haben, analysiert.

Was Weltmarktführer in puncto Digitalisierung anders machenals klassische mittelständische Unternehmen, haben wir gemeinsam mit Thomas Haller (Mitte)und OthmarSchwarz (links) von Simon-Kucher& Partners ausgelotet.
Thomas Haller: „Digital Natives werden sich nie einen alten Silberrücken aus dem Vertrieb antanzenlassen.“
Othmar Schwarz: „Der größte Effekt liegtfür viele Unternehmen im Crossselling.“

Die zentrale Frage unserer Erhebung lautete: Worauf zielen die Digitalisierungsbemühungen der Unternehmen eigentlich ab? Wie interpretieren Sie die Ergebnisse?
Haller: Sie richten sich sowohl nach innen als auch nach außen. Es geht also um Effizienzsteigerung auf der einen Seite und um verbesserte Kundenlösungen und Zugänge auf der anderen. Was wir in der Praxis beobachten, ist, dass aktuell vor allem viele Betriebe im B2B-Bereich damit beschäftigt sind, den Vertrieb mit digitalen Ansätzen in Richtung Multichannel auszubauen. Daraus ergeben sich zum Teil sehr weitreichende Veränderungen in den Unternehmen, da der direkte Kontakt durch Onlinemöglichkeiten ersetzt wird.

Schwarz: Das Bild ist allerdings differenziert. Die Anzahl der Vertriebsmitarbeiter zu verringern ist nämlich laut unserer Umfrage speziell für Weltmarktführer kein Thema.

Woran liegt es, dass dieses Einsparungspotenzial nicht genutzt wird?
Schwarz: Denken Sie an ein Maschinenbauunternehmen. Es kann zum Beispiel den Ersatzteilvertrieb über Webshoplösungen optimieren, aber das Hauptgeschäft bleibt unverändert, und intensive Beratung wird sogar noch wichtiger, weil die Produkte komplexer werden. Aber auch, weil man vermehrt Lösungen verkauft. Die Betriebe müssen also aktuell den Vertrieb so richtig aufmagazinieren.

Haller: Die Mitarbeiteranzahl wird sich also laut unserer Umfrage wegen der Digitalisierung nicht ändern, aber die Zusammensetzung und die Aufgaben sind im Wandel. Bei vielen Unternehmen laufen massive Restrukturierungen. Mancher will sogar die gesamte Prozesslandschaft digitalisieren. Was sich auch zeigt: Die Digitalisierung folgt meistens einer Strategie und erfolgt nur dort, wo es aus Sicht des Marktes und der Kunden sinnvoll ist. Den Unternehmen ist klar, dass Digitalisierung um der Digitalisierung willen nichts bringt. Dafür hat man zu viele Projekte in den Sand gesetzt, an die man sich schmerzhaft erinnert.

Schwarz: Es wird jetzt auf alle Fälle in das Thema investiert. Im Schnitt nehmen die Unternehmen fünf Prozent des Umsatzes in die Hand. Es gibt aber auch viel zu tun. Denn nur die wenigsten Unternehmen kennen die Costumer-Journey. Man muss aber heute alle digitalen Kontaktpunkte kennen.

Und das gilt auch für Unternehmen, die Nischen besetzen oder nur wenige Abnehmer bedienen?
Schwarz: Auch diese Betriebe müssen wissen, wo sich ihre Kunden informieren. Mehr als 60 Prozent der Einkäufer informieren sich online. Deshalb gilt es, entsprechende Informationen auf einer ausgezeichneten Homepage zu präsentieren. Dabei muss die Interaktion im Vordergrund stehen. Werden keine Lösungen zur Verfügung gestellt, kann es heute leicht passieren, dass Kunden dort kaufen, wo sie welche geboten bekommen.

Haller: Immer mehr humane Schnittstellen werden durch digitale ersetzt. Das ist wenig verwunderlich, wenn man weiß, dass 50 Prozent der B2B-Einkäufer 2018 Millennials sind. Digital Natives werden sich nie einen alten Silberrücken aus dem Vertrieb antanzen lassen. Sie nützen aus ihrer Sozialisation heraus andere Mittel. Dazu gehören digitale Einkaufsplattformen genauso wie Social Media.

Welches Learning ergibt sich daraus?
Schwarz: Man muss zwischen den Stakeholdern unterscheiden. Die Anwender komplexer Maschinen werden die technischen Eigenschaften wissen wollen und einen Fachmann brauchen. Andere vielleicht nur sehr oberflächliche Informationen. Das muss man bei den digitalen Kanälen berücksichtigen. Wichtig ist aber in allen Fällen die Usability und richtige Wertkommunikation – egal, um welchen Verkaufskanal es geht. Das gilt auch für klassische Verkaufsunterlagen. Davon ist die Industrie zum Teil noch Lichtjahre entfernt.

Haller: An Bedeutung gewinnt die Digitalisierung auch, weil immer öfter zu den Produkten digitale Services verkauft werden.

Unternehmen nützen die Digitalisierung zur Optimierung ihrer Prozesse und um neue Geschäfte zu machen. Welcher Bereich ist den Befragten aktuell wichtiger?
Haller: Es geht gerade vor allem um die Costumer-Experience. Und in diesem Bereich ist die Erwartungshaltung heute durch Erlebnisse aus dem privaten Bereich geprägt. Jeder weiß, wie simpel ein Kaufvorgang mit einem Klick bei Amazon geht. Das soll natürlich überall so einfach gehen. Erfolgreich sind Firmenportale darum immer dann, wenn sie sich an den Prozessen orientieren, die die Kunden schon kennen.

„Nicht einmal 25 Prozent analysieren das Kaufverhalten ihrer Kunden.“ Thomas Haller, Simon-Kucher & Partners

Schwarz: Die Unternehmen müssen bei der Digitalisierung die Sicht generell viel stärker auf die Kunden richten. Wir haben bei der Umfrage nämlich gesehen, dass zwar 100 Prozent Kundendaten erheben, aber nur 50 Prozent daraus etwas machen. Große Datenfriedhöfe bringen aber nichts. Die Informationen müssen ausgewertet und für verbessertes Kundenverständnis genutzt werden.

Haller: Dafür brauchen sie natürlich die entsprechenden Experten, und die sind leider nicht gerade einfach zu bekommen.

Sich der Digitalisierung zu stellen ist nach wie vor teuer und extrem komplex. Zeigt sich das in der Haltung der Unternehmen gegenüber der Digitalisierung?
Haller: Die Digitalisierung ist voll in den Unternehmen angekommen. Vor zwei Jahren haben viele noch auf „Schauen wir einmal“ gesetzt. Jetzt wird viel experimentiert. Und das ist gut.

Schwarz: Die Betriebe sehen, dass die Digitalisierung kurzfristig positive Ebit-Effekte bringen wird. Bei den Weltmarktführern beobachten wir einen Fokus auf Interagieren anstatt Informieren. Sie setzen immer stärker auf personalisierte Ansprache, mobile Apps usw. Das ist für mehr als 50 Prozent ein Thema. Sie überlegen jetzt intensiv, wie sie ihre Kunden ansprechen können und was sich verbessern lässt.

Wer treibt das Thema in den Unternehmen?
Haller: Es ist eigentlich überall und nirgendwo. Die meisten Unternehmen haben angegeben, dass sie noch in der Findungsfase sind, aber es wandert definitiv nach oben.

Digitalisierung wird also zur Chefsache und kommt in die Vorstandsetagen?
Haller: So sollte es sein, und so wird es auch immer mehr. Es gibt immer öfter einen CDO. Auch bei mittelständischen Unternehmen. Wir beobachten einen Trend zu klarer Regelung der Verantwortung, denn das Thema betrifft alle Bereiche. Trotzdem haben 25 Prozent der KMU die Zuständigkeit noch nicht geregelt.

„Nur die wenigsten Unternehmen kennen die Customer-Journey.“ Othmar Schwarz, Simon-Kucher & Partners

Hat die Umfrage wesentliche Unterschiede in den Herangehensweisen von Weltmarktführern und KMU offenbart?
Haller: Die Weltmarktführer entscheiden tendenziell schneller. Schwarz: Aber auch KMU ziehen ganz gut nach. Die Kleinen können die Vorteile der Digitalisierung auch sehr gut nützen, weil viele Maßnahmen kein Vermögen kosten. Sie können rasch auf Facebook oder Linkedin gehen und ihr Marketing verbessern.

Wissen die Unternehmen gut genug darüber Bescheid, wie sich ihre Kunden informieren und wo sie kaufen?
Haller: In der Industrie wissen es nur wenige. Nicht einmal 25 Prozent analysieren das Kaufverhalten ihrer Kunden.

Aufgrund der Digitalisierung hat sich bei manchen Unternehmen das Geschäftsmodell selbst geändert. Vom Produktverkauf zum Servicevertrag etwa. Ist das ein Konzept, das sich verbreitet?
Haller: Was wir beobachten können, ist, dass zum Beispiel viele Unternehmen das Ersatzteilgeschäft lang nur mitlaufen ließen. Es wurde stiefmütterlich behandelt, da spielt nun die Digitalisierung rein und bringt Dynamik. Und oft wird das Thema zum Hauptertragsbringer. 20 Prozent vom Umsatz und 60 Prozent vom Ertrag sind nicht unüblich. Im Automobilbereich ist es sogar noch mehr.

Schwarz: Wer die Digitalisierung so nützt, verändert mehr und mehr sein Geschäftsmodell und schafft nachhaltige Erlösströme. Servicevertragsmodelle funktionieren besonders gut durch die gesteigerte Messbarkeit, wenn etwa Sensoren den Verschleiß von Bauteilen erkennen und man eingreifen kann, bevor ein Produkt ausfällt.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Schwarz: Aufzugshersteller setzen schon seit einiger Zeit auf intensives Servicevertragsgeschäft. Damit einhergehend schauen sie auch, wie man zusätzliche Services anbieten kann. Beispielsweise können etwa mit Sensoren Benutzerströme gemessen werden. Den Lift kann man so automatisch dorthin fahren lassen, wo viele Leute sind. Ähnliche Ideen verfolgen Leuchtenhersteller, die Sensoren einsetzen, um etwa die Raumnutzung zu messen.

Wenn man an künstliche Intelligenz, Big Data, das Internet der Dinge und Predictive Analytics denkt: Was wird sich dabei erst in den kommenden Jahren tun?
Haller: Wir stehen vielfach noch sehr am Beginn. Allein wenn man sich das Wachstum der B2B-Plattformen anschaut: Amazon Business und Alibaba, das wird voll abgehen und klassische Kanäle obsolet machen.

Besteht hier nicht die Gefahr, dass dann die Preise verfallen?
Schwarz: Ein Komponentenhersteller, der sich überlegt, ob er einen Webshop baut oder Amazon Business nützt, wird zu Recht Bauchweh haben. Natürlich gewinnt er einen starken Verkaufskanal. Er gibt aber auch die Costumerknowledge und die Daten aus der Hand. Die Plattform kennt dann rasch seine Kunden besser als er. Und auch hier gilt: The Winner takes it all.

Die Umfrage hat gezeigt, dass die Mehrheit der Unternehmen zwar weiß, dass es viel zu tun gibt, dass aber nur wenige etwas ändern. Wie wirkt sich das aus?
Schwarz: Wenn man zu lange wartet, besteht die Gefahr, dass man von der Konkurrenz überholt wird. Aggressives Warten wird also keine Lösung sein.

Haller: Oft wird auch eines übersehen: Viele Kunden haben ein Bestandskundengeschäft und verwenden zu viel Zeit, um neue Kunden und Märkte zu erschließen, anstatt sich um ihr Kerngeschäft und die wichtigsten Kunden zu kümmern, wo sie mit der Digitalisierung am meisten erreichen könnten.
Schwarz: Der größte Effekt würde für viele Unternehmen im Crossselling liegen. Und das ist ein Bereich, der viel zu wenig beachtet wird. Die Digitalisierung bietet optimale Möglichkeiten, um der eigenen Kundenbasis Gutes zu tun und sie schlauer zu bedienen.

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