„Vergesst nicht die netten Kunden“
Als Coach und Buchautorin befasst sich Gabriele Cerwinka mit den Nervensägen unter den Kunden. Unternehmen, die mit überzogenen und unverschämten Forderungen zu tun haben, rät sie: freundlich reagieren, aber in der Sache hart bleiben.


Interview: Alexandra Rotter
Manche Unternehmen verlauten, dass Kunden immer frecher werden. Stimmt dieser Eindruck?
Wir bemerken, dass die Kunden ein Stück weit unverschämter werden. Überzogene Forderungen kommen heute recht oft vor.
In welchen Bereichen und Branchen beobachten Sie das besonders?
Vor allem große Unternehmen sind heute mit Forderungen von Kunden konfrontiert, die nach dem Motto „Was geht rein?“ agieren. So kommt es etwa gegenüber Hausverwaltungen immer öfter vor, dass Mieter und Eigentümer von ihrer Hausverwaltung verlangen, dem Nachbarn etwas auszurichten, also Alltagsprobleme für sie zu lösen. Das liegt aber in der Eigenverantwortung des Einzelnen. Oder wenn getragene Kleidungsstücke nach vierzehn Tagen zurückgebracht werden, weil sie angeblich doch zu klein sind.
Man will diese Kunden nicht vor den Kopf stoßen. Was raten Sie den Unternehmen?
Es ist besonders wichtig, dass das Unternehmen und vor allem die Mitarbeiter in ihrer Rolle bleiben und das unangemessene Verhalten des Kunden nicht persönlich nehmen. Man darf Emotionen zeigen, aber man muss letztlich immer die Sache und die eigene Aufgabe in den Fokus stellen. Dafür sollte man sich fragen: Wofür bin ich verantwortlich? Sicher nicht dafür, dass ein Kunde Probleme mit seiner Schwiegermutter hat.
Wo liegt die Grenze aus Sicht der Unternehmen?
Es ist für die Außenwirkung nicht positiv, wenn zum Beispiel einem Kunden bei einer Produktbeschwerde sofort der gesamte Betrag retourniert wird, einem anderen aber nicht. Damit schaffe ich Kunden zweier Klassen. Allerdings muss ich Alternativen anbieten, etwa eine Teilrefundierung oder einen Gutschein. Eine einheitliche Vorgangsweise sowie klare und vor allem transparente Vorgaben für die Mitarbeiter sind extrem hilfreich.
Kann man lernen, sich in solchen schwierigen Situationen abzugrenzen?
Ja. In meinen Trainings wird mit konkreten Fallbeispielen gearbeitet. Die Teilnehmer können ihre konkreten Situationen mitbringen. Wir spielen die Situationen durch, zum Teil wird das auf Video aufgenommen. Manchmal ist eine Schauspielerin dabei, die den schwierigen Kunden – zum Beispiel einen Patienten – mimt und die Teilnehmer auf eine harte Probe stellt.
Was ist bei so einer Übung wichtig, damit sie Wirkung zeigt?
Jeder hat seine speziellen Typen, auf die er anspringt. Im Training muss ich mich in eine für mich herausfordernde Situation begeben. Wichtig ist, keine Angst vor der Übung zu haben – in diesem Trockentraining kann nichts passieren.
Ist nicht auch die schnelle und unpersönliche Kommunikation im Internet für das selbstbewusste Auftreten der Kunden mitverantwortlich?
Ja. Social Media und Blogs geben den Unternehmen einen Rüttler und zeigen ihnen, dass sie in der Kundenbetreuung mehr machen müssen. Wobei das vor allem ein Thema der schriftlichen Kommunikation ist. Hier geht es ebenfalls um das Beibehalten der Rolle: Auch E-Mails von Kunden, die locker-flockig geschrieben sind, muss man professionell beantworten.
Hat dieses Wachrütteln zu Verbesserungen geführt?
Ja, es tut sich was beim Kundenservice. Bisher war es oft so, dass sehr viel Geld in Werbung und Marketing gebuttert wurde, aber das Kundenservice nachhinkte. Jetzt bemerke ich, dass in manchen Branchen, zum Beispiel im Lebensmittelsektor, mehr für den Wohlfühlfaktor der Kunden getan wird. So hat man mehr Convenience-Produkte im Sortiment und bietet vermehrt Hauszustellungen an. Und die Mitarbeiter werden besser geschult. In anderen Branchen, etwa bei den Heimbaumärkten, liegt noch einiges im Argen. Ein Beispiel: Wenn ein Mitarbeiter dem Kunden freundlich sagt, wo die Schrauben liegen, aber ihn nicht dorthin führt, ist das heute zu wenig. Da fehlt es noch an Kundenservice und
Kundenbindung.
Kommt es nicht auch vor, dass Mitarbeiter Kundenkontakt haben, die dafür nicht geeignet sind?
Ja. Schon bei der Rekrutierung sollte man darauf achten, ob jemand offen auf Menschen zugeht. Das ist sogar wichtiger als die Berufserfahrung. Mit „Was wäre wenn“-Fragen kann überprüft werden, ob der Mitarbeiter mit schwierigen Situationen umgehen kann. Zum Beispiel: „Nehmen wir an, ein Kunde kommt ins Geschäft und beschwert sich über Ihre Kollegin und deren unprofessionelle Betreuung. Wie würden Sie reagieren?“
Wie sieht die Situation speziell in KMU aus?
Große und mittlere Unternehmen investieren derzeit viel in Kundenbetreuung und Umgangsformen. In kleineren Unternehmen beobachte ich, dass hier derzeit weniger gemacht wird, weil meistens der Chef selbst näher am Kunden ist. Seminare zur Business-Etikette zum Beispiel leistet man sich besonders dort, wo Umgangsformen für wichtig gehalten werden, etwa in Anwaltskanzleien. Beim Thema „Umgang mit schwierigen Gesprächspartnern“ sehe ich in allen Branchen riesigen Bedarf, das könnte ich derzeit Tag und Nacht unterrichten.
Wo liegen derzeit die größten Probleme bei der Kundenbetreuung?
Wir müssen den Kunden mehr Grenzen setzen. Die letzten Jahre waren geprägt von einer fast grenzenlosen Kundenbetreuung. Für mich bedeutet Kundenbetreuung, freundlich, aber hart in der Sache zu sein. Falsch verstandene Kundenbetreuung ist es, sich besonders um die Kunden zu bemühen, die sich nicht zu benehmen wissen, und dabei die zu vernachlässigen, die sich angemessen verhalten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn zum Beispiel sechs Kunden in einem kleinen Geschäft sind und einer davon die Verkäuferin auf egoistische Weise total in Beschlag nimmt, während die netten anderen fünf warten müssen. Ich bringe meinen Schulungsteilnehmern zwar bei, wie man mit schwierigen Kunden umgeht, aber man sollte nicht den Fehler machen und immer den Fokus auf die mühsamen Kunden legen. Ich sage in den Schulungen oft: Bitte vergesst nicht die netten Kunden! Man muss natürlich zu allen Kunden extrem freundlich sein, aber es gibt eine Grenze, nämlich dann, wenn die Forderungen des Kunden unverschämt sind.