Raus aus alten Denkmustern
Ohne echtes Commitment der Unternehmensführung klappt die Digitalisierung nicht. Warum Österreichs Mittelstand den Trend rasch in Angriff nehmen sollte und wo Stolpersteine lauern, erklärt Dirk Schäfer, Vorsitzender der Geschäftsführung von Kerkhoff Consulting.
Die fortschreitende Digitalisierung verändert mittlerweile ganze Branchen. Viele Mittelständler warten aber lieber noch ab. Ein folgenschwerer Fehler?
Der Mittelstand im Allgemeinen ist sehr stark durch traditionsbewusste Unternehmer und Unternehmen geprägt. Im Spagat zwischen Tradition und Innovation sollte man jedoch nicht die abwartende Rolle einnehmen und auf den Wettbewerb reagieren. Die Digitalisierung ist ein seit Jahren fortschreitender, unaufhaltsamer Trend – auch im Mittelstand. Unternehmen, die sich hiervor verschließen, werden über kurz oder lang ihren Wettbewerb davonlaufen sehen. Positive Beispiele belegen, dass sich „Innovators“ bzw. auch „early adopters“ aus dem Mittelstand einen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb verschaffen konnten. Das heißt nicht allen digitalen Trends stur zu folgen.
Woran liegt es, dass sich viele Unternehmen schwer tun, ihr Business ins digitale Zeitalter zu übertragen?
Digitalisierung wird oft nur auf einzelne Aspekte, z.B. auf die Etablierung von E-Commerce-Strategien, reduziert. Es sind aber alle Bereiche des Unternehmens und der Wertschöpfungskette betroffen. Das Produkt oder die Dienstleistung selbst, interne Prozesse sowie Schnittstellen und auch der gesamte Vertriebsweg. Um die Komplexität zu beherrschen heißt es insbesondere visionärer und strategischer zu agieren. Es wird oft außer Acht gelassen, dass es komplex ist aus der bisherigen Denkweise auszubrechen und sein Geschäft, oder auch Teilaspekte dessen neu zu denken. Die Digitalisierung setzt aber genau dieses voraus. Digitalisieren des Digitalisierens wegen funktioniert nicht! Das Top-Management muss überzeugt sein und ein gutes Bauchgefühl haben. Ein Blick von außen kann an dieser Stelle helfen, die ersten Schritte gezielter anzugehen und sich ein klares Bild von sinnvollen Möglichkeiten der Digitalisierung innerhalb des eigenen Geschäftsmodells zu verschaffen. Es gilt Technologien zu identifizieren, die einen positiven Wertbeitrag leisten können und diese zu integrieren.
Abseits der Gefahr unter die Räder zu kommen: Welche Chancen bietet Digitalisierung Österreichs KMU?
Die Unternehmen entlang der Lieferketten in Österreich werden in den kommenden Jahren immer enger zusammenwachsen und damit den positiven Nutzen der Vernetzung ausschöpfen. Durch die stetig steigende Transparenz zwischen dem eignen Unternehmen und den Kunden bzw. den Lieferanten und dem eigenen Unternehmen aufgrund der steigenden Zahl vorhandener Messmöglichkeiten, ergeben sich neue Optionen der Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Des Weiteren werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, die im analogen Zeitalter nicht umsetzbar waren.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Der Wasseraufbereiter BWT sticht etwa als positives Beispiel hervor und wurde hierzu vor kurzem von Microsoft mit dem Zukunftspreis geehrt. Das Unternehmen setzt verstärkt auf das „Internet der Dinge“ bei seinen Produkten. Mittels Sensoren werden Daten erfasst um diese zu analysieren und auf Basis dessen die Wasserqualität zentral zu monitoren. Der Ansatz stellt eine „state-of-the-art“-Weiterentwicklung des bisherigen Geschäfts dar.
Wenn Unternehmen es genauso machen und von der Entwicklung profitieren wollen: Zu welchem ersten Schritt raten Sie?
Unternehmen sollten sich definitiv mit der Frage auseinandersetzen, ob das Geschäftsmodell in seiner aktuellen Form auch in Zukunft Bestand haben wird. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Digitalisierung ist jedoch das Commitment. Die Unternehmensführung muss von den Vorteilen der Digitalisierung überzeugt sein und die Risiken abwägen können. Das Eis wird meist durch den Austausch mit erfolgreichen Umsetzern gebrochen. Das Top-Management muss in Richtung einer eigenen digitalen Vision gelenkt werden. Ein Vorgang, der am besten durch die Aufnahme externer Impulse erfolgt. Im dem Zuge muss auch das Verständnis für den Hintergrund der Digitalisierung geschaffen und die entsprechenden Grundlagen vermittelt werden. Wir bereiten diesen Weg für unsere Kunden mit der Kerkhoff Digital Vision, die spezialisiert ist auf die gemeinsame Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle. Denn erst durch gemeinsame Workshops und unser fachliches Know-How, können die Kunden ihr Geschäftsmodell anders betrachten und Ansätze zum digitalen Wandel ausgedeckt werden.
Wer muss so einen Change-Prozess im Unternehmen anleiten?
Der Change-Prozess kann nur durch das Top-Management eingeleitet werden. Nur durch das Commitment der Unternehmensführung wird ein solcher Prozess zum Erfolg. Das Top-Management ist von Beginn an eng in Entscheidungen eingebunden, da auch zentrale Geschäftsprozesse und Funktionen der Mitarbeiter hinterfragt und neu ausgerichtet werden müssen, um digitale Ideen umzusetzen. Erfolgreich digitalisierte Unternehmen lagern Ihre digitalen Geschäftsmodelle oftmals in eigenständige Business Units aus. Digitale Geschäftsmodelle bedürfen oftmals nicht nur andere Organisationsstrukturen als die traditionellen, analogen Modelle, sondern setzen auch voraus, dass alte Denkweisen umgangen werden und ein Freiraum zum „Querdenken“ geschaffen wird.
Ihre persönliche Analyse: Wo steht Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern?
Laut des Digital Economy and Society Index 2016 konnte Österreich einen Platz zum Vorjahr gutmachen, rangiert jedoch lediglich im Mittelfeld im Vergleich zu den übrigen EU-Staaten im Hinblick auf die digitale Entwicklung. Die Landkarte der digitalen Cluster Europas untermauert dieses Ergebnis ebenfalls. Diese liegen vorwiegend in und um beispielsweise London, Paris, Stockholm und Berlin. Österreich kann an dieser Stelle keine Stadt oder gar eine Region unter den Top-Standorten aufzeigen. Hier hat Österreich deutliches Verbesserungspotenzial. Betrachtet man das Verhältnis zwischen BIP und Venture Capital platziert sich Österreich im Vergleich zu ausgewählten EU-Ländern auf dem 6. Platz mit 0,03% Anteil (Platz 1: Finnland 0,05%). Es zeigt sich also eine Bereitschaft und Offenheit zur Digitalisierung, wobei diese noch stark auszubauen ist.
Woran liegt das?
Ein Grund hierfür liegt sicherlich in dem teils noch zu gering ausgeprägten IT-Know-How der KMU. Dieser Mangel hindert Unternehmen momentan noch daran digitale Trends zu identifizieren und diese qualifiziert zu bewerten. Diese Lücke muss im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsprogrammen geschlossen werden, um im internationalen Vergleich einen Sprung nach vorne zu machen.