Sir Ernest Shackleton: Auf Messers Schneide führen
Sir Ernest Shackleton brach 1914 mit dem Ziel auf, als Erster den antarktischen Kontinent zu durchqueren. Das Unterfangen sollte scheitern und zu einem drei Jahre andauernden Kampf um das nackte Überleben seiner Mannschaft werden. Dass er keinen einzigen Mann verloren hat, wird seinem Führungsgenie zugeschrieben. Fünf Beispiele für sein Management am Limit und ein Gespräch über Ansätze des Arktispioniers, die uns in der Corona-Krise weiterhelfen könnten.
„Männer für eine waghalsige Reise gesucht. Geringe Löhne. Extreme Kälte. Monatelang völlige Dunkelheit. Permanente Gefahren. Sichere Heimkehr ungewiss. Ehre und Ruhm im Erfolgsfalle.“ Mit diesen Worten warb Shackleton Expeditionsteilnehmer für die Fahrt ins Ungewisse an. Mehr als 5.000 Bewerber wollten das Wagnis eingehen. Ebenso exzentrisch mutete auch seine Auswahl von Mannschaftsmitgliedern an. Er bildete sein Expeditionsteam um einen Kern aus Männern, deren Vertrauen ihm sicher war und denen er vertrauen konnte. Bei der Auswahl setzte er auf eine Mischung aus Intuition und Werten. Er suchte nach Begeisterung, Teamfähigkeit und Optimismus. Ein Mitglied wurde etwa gefragt, ob es singen könne. Warum das wichtig sei? „Oh, ich meinte nicht wie Caruso“, beruhigte Shackleton den Mann, „aber Sie können doch ein bisschen mit den Jungs mitgrölen?“ Diese Frage war sein Prüfstein für den Teamgeist eines Mannes. Seiner Meinung nach hatte „jeder verdammt nochmal optimistisch zu sein!“ Diese Eigenschaft würden die Männer noch dringend nötig haben.
In einer Zeit strengster hierarchischer Trennungen, in der Fehler umgehend mit harten Disziplinierungsmaßnahmen geahndet wurden, setzte Shackleton darauf, als Primus inter Pares zu agieren. Als sein 1. Offizier bei einem Hafenmanöver die Schiffsschraube beschädigte, erwartete dieser, umgehend diszipliniert zu werden. Shackleton hingegen legte seine Kleidung ab, nahm das Werkzeug und stieg mit den Mann ins Wasser. Shackleton erwähnte den Zwischenfall nie wieder. So sicherte er sich die bedingungslose Loyalität seiner Mannschaft. Die Fähigkeit, mit positivem Beispiel voranzugehen und sich nicht über die Mannschaft zu stellen, bewies Shackleton auch später, als es wirklich ernst wurde. Seine Essensrationen waren immer nur gleich groß oder kleiner als die der anderen Mitglieder, auch lästige Arbeiten führte er wie die anderen aus. Als sie die im Eis gefangene „Endurance“ zum Winterquartier umbauten, war sich Shackleton nicht zu gut, mit anderen gemeinsam auf dem Boden herumzukriechen und Linoleum zu verlegen. Einen Mann, der Schwierigkeiten machte und mit dem niemand etwas zu tun haben wollte, nahm er kurzerhand zu sich ins Zelt und später auch in sein Boot. Um sich versammelte er gern die Männer, die anderswo keinen Zugang zu anderen gefunden hätten. Bei ihm lagen sie dicht an dicht und waren zufrieden.
Die „Endurance“ war nicht an ihr Ziel gelangt, sondern vom Packeis eingeschlossen worden, das diese zusehends zerdrückte. Immer mehr Wasser drang in das Schiff ein, das den Männern bereits seit Monaten als Heim diente. Shackletons Befehl, das Schiff zu verlassen, war das Signal zu einem der größten antarktischen Abenteuer überhaupt. Die Schiffbrüchigen drifteten nun mit unbekanntem Ziel umher. Ohne Hoffnung auf Rettung und nur überlebensfähig, solange die Vorsehung ihnen Nahrung schickte. Shackleton hatte sich allerdings, ohne jemals darüber zu sprechen, bereits seit Wochen auf genau diese Situation akribisch vorbereitet und detailreiche Notfallpläne ausgearbeitet, die er nun zur Umsetzung brachte. Dadurch wurde er zum Ruhepol in einer Situation der absoluten Verzweiflung. Wer mit wem in welchem Zelt liegen sollte, wie die Ladung zu bergen sei und viele weitere organisatorische Fragen wurden in Angriff genommen. Der positive Nebeneffekt: Alle Männer hatten eine Aufgabe, der sie sich widmen konnten.
So schlugen die auf dem driftenden Eis gestrandeten Männer ihr Lager, das Dump Camp, auf. Die Temperatur fiel auf minus 26 Grad Celsius. Jeder bekam einen Schlafsack, doch es gab zu wenige, die mit Pelz gefüttert waren. Shackleton mogelte bei der von ihm organisierten Verlosung. Er und seine Offiziere erhielten alle minderwertige Wollschlafsäcke. Genauso selbstlos handelte er, als ein Besatzungsmitglied, dessen Handschuhe fast vollständig verfault waren, schlimme Erfrierungen an den Händen bekam. Shackleton gab ihm seine Handschuhe. Anfangs wollte er diese aber nicht annehmen, da er merkte, dass der Boss selbst an Erfrierungen litt. Shackleton drohte letztendlich, sie ins Meer zu werfen, wenn der Mann sie nicht sofort anziehen würde.
Nachdem sie die „Endurance“ verloren hatten und auch die Eisscholle, auf der sie herumtrieben, immer kleiner wurde, begaben sich die Männer in die verbliebenen Rettungsboote und erreichten nach sieben Tagen inmitten der wogenden See die gottverlassene Elephant Island. Sechs Männer beschlossen, Hilfe zu holen und mit einem nur sieben Meter großen Boot die 1.400 Meilen lange Fahrt zur nächstgelegenen Wahlfangstation auf South Georgia zu wagen. Wie durch ein Wunder überstanden sie die Fahrt und erreichten die Insel. Leider aber auf der falschen Seite. Rundherum zu fahren, wäre mit dem Boot nicht mehr möglich gewesen. So brach Shackleton mit zwei Männern auf, um die vergletscherte Insel zu durchqueren. Ausgerüstet bloß mit einem Beil, einem Hanfseil und je acht Schiffsnägeln als Steigeisenersatz in den Schuhen. Ein verwirrendes Durcheinander von Bergkämmen, Hochebenen und 163 Gletschern erwartete die Männer. Als die Begleiter über Müdigkeit klagten, befahl ihnen Shackleton, eine Stunde zu schlafen. Er hielt Wache. Nachdem er seine Kameraden aufgeweckt hatte, versicherte er ihnen, dass sie ihre Stunde bekommen hätten. Erst später erklärte er ihnen, dass er sie bereits nach fünf Minuten wieder wecken musste, aus Angst, selbst einzuschlafen. Schlaf geht in so einer Situation unmerklich in den Tod über. Sie durchquerten die Insel auf einer Strecke von 42 Kilometern und erreichten die rettende Walfangstation. In völlig verdreckter und zerschlissener Kleidung, am Ende ihrer Kräfte. Die ersten Kinder, die die drei ausgelaugten Gestalten sahen, liefen vor Schreck davon.
10 Tipps für die Krise:
- Bedenken Sie stets ein Faktum: „Schnelligkeit durch Vertrauen“
- Kommunizieren Sie offen. Zeigen Sie mögliche Folgen auf.
- Machen Sie Mut und geben Sie nie auf.
- Entscheidend ist, dass Sie entscheiden. Nichts zu tun, ist keine Option.
- Sorgen Sie beizeiten für ein loyales Team.
- Gehen Sie konsequent gegen Jammerer und Gerüchte vor. Halten Sie die schwierigen Personen nahe bei sich.
- Seien Sie in jeder Situation Vorbild.
- Kontrollieren Sie negative Gefühle, behalten Sie das Wesentliche im Auge.
- Setzen Sie sich sofort ein neues Ziel, wenn sich das alte als nicht erreichbar erweist.
- Feiern Sie Erfolge